2014-05-03-Turmgeflüster

Ein Tag im Garten (Samstag)

Im Metzgergeschäft heißt es oft: Darf es etwas mehr sein? Ich frage heute: Darf es etwas weniger sein? Etwas weniger Turmgeflüster? Mein lieber Bruder Stephan ist aus Berlin angereist. Er hilft mir, unseren riesengroßen Garten auf Vordermann zu bringen; also bleibt ausnahmsweise nicht viel Zeit zum Turmflüstern, aber sie reicht allemal, um allen Leserinnen und Lesern einen sonnenschönen Tag im Grünen zu wünschen.


Wäre er 100.000 Mal in Betlehem geboren (Freitag)

Am 1. Mai 1954, also vor 60 Jahren, wurde die Marienfigur in St. Ludgerus Aurich in der ersten Maiandacht feierlich gesegnet. Die Figur stammt von einem Künstler aus Kevelaer.

In diesem niederrheinischen Gadenort sagte gestern – zur Eröffnung der Wallfahrtzeit am 1. Mai – der Berliner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, die vornehmste Aufgabe des Christen sei, in die Welt hineinzuwirken. „Gott hat keine anderen Hände, Augen und Münder als unsere.“

Und weiter: „Wir sollten Gott wie Maria in unser Leben hineinholen und bereit sein, uns von ihm in unser Leben hineinreden zu lassen. Nur so kann er in uns und durch uns wirken.“ Dann beginne Gott in den Menschen zu leben. Und: Wäre er 100.000 Mal in Betlehem geboren, aber nicht in uns, wäre er vergeblich geboren.

Das hätte Paulus in seinem Lied kaum treffender sagen können.


Brüder, zur Sonne, zur Freiheit (Donnerstag)

Seit 1889 gilt der 1. Mai weltweit als „Tag der Arbeit“, ursprünglich ausgerufen als „Kampftag der Arbeiterbewegung“. So kam es, dass ich als blutjunge Journalistin zu einer Maikundgebung geschickt wurde – Eindrücke sammeln und Bericht schreiben. Wie eine angehende Redakteurin habe ich wohl nicht gewirkt, eher wie eine, die den Jusos nahe stehen könnte, dabei war ich nie in einer Partei gewesen.

Plötzlich sah ich mich umzingelt von anderen jungen Leuten, die sich alle an den Händen fassten, mich ebenso, und in diesem Kreis lauthals sangen: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“. Ich war so unbedarft, dass ich nicht einmal wusste, ob man das Lied als gute Demokratin singen durfte oder ob das am Ende kommunistisches Kulturgut war.

Später lernte ich: Jawohl, das Lied durfte man singen. Es ist die Parteihymne der Sozialdemokraten, und sie singen sie bei jedem Parteitag. Das Lied verfügt sogar über freiheitsfördernde Kraft. Am 17. Juni 1953 sangen Arbeiter und Regimegegner es bei ihren Straßendemonstrationen in der DDR; zudem erscholl es bei den Montagsdemonstrationen 1989 in Leipzig. Kurz danach fiel die Mauer.

Die Kirche denkt an den „Tag der Arbeit“ auf eigene Weise. 1955 widmete Papst Pius XII. den 1. Mai dem Heiligen Josef als dem Schutzpatron der Arbeiter und würdigte so den Wert menschlicher Arbeit.

Allen einen schönen 1. Mai!


Eine innige Verbindung (Mittwoch)

Neulich diskutierten wir übers Beten. Nützt es? „Quatsch!“, sagte ein junger Mann. „Dann würde Gott den bevorzugen, der die meisten Beter rekrutieren kann. Ein schöner Gott: der schiere Opportunist.“ Ein anderer: „Du verwechselst beten mit der Sendung ‚Wünsch dir was‘ .“ Gottes Tun bleibe immer eine Gnade. Darauf der Erste: „Und warum betet ihr dann? Wartet doch einfach auf seine Gnade.“ Und der Zweite: „Beten ist mein Gespräch mit Gott. Und es ist mehr. Wenn ich für einen Menschen bete, habe ich mich innig mit ihm verbunden.“

Diesen Gedanken fand ich schön: „Wenn ich für einen Menschen bete, habe ich mich innig mit ihm verbunden.“ Da steckt schon ein Stückchen Gnade drin.


Eine junge Frau kritisierte den Papst (Dienstag)

Heute feiern wir den Namenstag von Katharina von Siena. Sie sorgte im 14. Jahrhundert dafür, dass Papst Gregor XI. aus Avignon nach Rom zurückkehrte. So haben am jüngsten Sonntag knapp eine Million Menschen die Heiligsprechung zweier Päpste in der Ewigen Stadt und nicht in Frankreich erlebt. Einer der neuen Heiligen, Papst Johannes Paul II., hatte Katharina 1999 zur Mitpatronin Europas erklärt.

Katharina war am 25. März 1347 als 24. von 25 Kindern einer Färberfamilie in Siena zur Welt gekommen. Sie erlebte mehrere Visionen, sprach schon als sehr junge Frau gegen jede Regel öffentlich über kirchliche, politische und gesellschaftliche Fragen und war so beseelt, dass selbst die, die sie teils heftig kritisierte – z.B. den Papst und die Bischöfe – immer wieder ihren weisen Rat erfragten.  Sie starb mit 33 Jahren am 29. April 1380.

381 Briefe sind von ihr erhalten. Immer wieder hatte sie in solchen Schreiben dazu aufgerufen, Frieden zu halten. Eine Aufgabe, die nach über 600 Jahren aktuell geblieben ist.


Als sich ein Wassertropfen selbstständig machte (Montag)

Der Strom kommt aus der Steckdose. Es sei denn, der Hauptschalter im Sicherungskasten ist, wie bei uns gestern Abend, nach unten geschlagen und hat das ganze Haus umnachtet. Ich tappte mit einer Baumarktfunzel zum Kasten und drückte den Hauptschalter hoch; sofort hüpfte er wieder runter. Nach dem dritten Versuch sah ich ein, dass irgendwo im Haus ein Umstand eingetreten sein musste, der der hartnäckigen Unfolgsamkeit des Schalters zu Grunde lag.

Zurzeit laufen bei uns elektrische Geräte, die unverzichtbar sind. Da sich in meinem Inneren leichte Panik meldete, rief ich bei unserem Elektriker an. Im Dienst war nur sein Anrufbeantworter. Wochenende!

Also hieß es: hinsetzen, durchatmen, sammeln und alle elektrischen Einrichtungen unseres Hauses im Geiste durchgehen! Schon hatte ich eine kleine Erleuchtung. Kurz vor dem Stromausfall hatte ich auf dem Küchentisch ein Glas umgestoßen. Drinnen war ein Pfützchen Wasser gewesen, ganz ehrlich: ein Minipfützchen Wasser. „Trocknet von allein“, hatte ich gedacht. Ja, denkste! Das Minipfützchen hatte sich in einen Tropfen ergossen, und der hatte sich ganz nach Art der Tropfen vom Tisch fallen lassen. Mitten hinein in die darunter liegende Mehrfachsteckdose. Kurzschluss!

Schnell war die wasserscheue Leiste ausgetauscht. Der Schalter im Sicherungskasten gab umgehend seinen Widerstand auf. Wir hatten wieder Strom, und ich konnte in Ruhe turmflüstern.


Der gute Papst und der eilige Papst (Sonntag)

Heute feiern wir den Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit. Sie hat der Kirche in den letzten 60 Jahren zwei Päpste beschert, die heute in Rom heiliggesprochen werden. Johannes XXIII. führte die Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 bis 1965 in die Neuzeit und wurde von den Menschen wegen seiner Bescheidenheit und Demut „der gute Papst“ genannt. Auch Johannes Paul II. steht für einen Aufbruch in die Neuzeit – nicht gerade wegen fortschrittlicher Reformen in der Kirche, sondern wegen seines Anteils am Zusammenbruch kommunistischer Regimes im Osten. Der vielreisende Pontifex bekam den Beinamen der eilige Papst.

Um 10 Uhr beginnt in Rom auf dem Petersplatz die Heilige Messe mit den Heiligsprechungen. Auf der vatikanischen Webseite erhalten Interessenten viele Informationen, darunter ein 78-seitiges Büchlein zum Ablauf der Zeremonie, Biografien und Würdigungen der Päpste, Videobotschaften und den Predigttext von Papst Franziskus (freigeschaltet nach der Messe). Zudem gibt es einen Video-Button, um die Ereignisse live zu erleben. In Deutschland erscheint allerdings ein schwarzer Bildschirm mit dem Hinweis: „Live-Streaming ist wegen Rechteproblemen in Deutschland leider nicht möglich.“

Auf dem Petersplatz werden hunderttausende Gläubige erwartet, darunter der emeritierte Papst Benedikt XVI. So werden in Anwesenheit von zwei Päpsten zwei Päpste heiliggesprochen.