2019-11-05 | Eine Herausforderung, vor die Gott uns stellt

Einen mutigen Weg beschreiten zehn Generalvikare, darunter Theo Paul aus Osnabrück. Sie werben in einem Brief dafür, die Herausforderungen zu erkennen, „vor die Gott selbst uns stellt“.

Sie schreiben: „Wir begrüßen und unterstützen den Synodalen Weg … und seine Zielsetzungen mit Nachdruck. Wir halten das damit verknüpfte Anliegen einer grundlegenden Reform der Kirche … für dringend notwendig, ja für existenziell.“

Die Adressaten der zehn Generalvikare deutscher (Erz)-Bistümer sind der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Prof. Dr. Thomas Sternberg.

„Einige von uns sind schon länger auf einem gemeinsamen Weg des kollegialen Austausches, mit dem wir uns gegenseitig stützen und ermutigen“, schreiben die Zehn. Dies habe einen „vertrauesvollen, offenen und ehrlichen Austausch“ möglich gemacht. Das „sehr persönliche“ Ergebnis beschreiben sie in ihrem Brief und schildern in großer Offenheit ihren Blick auf eigenes Verschulden, den Verlust an Glaubwürdigkeit – und zugleich ihr Vertrauen auf den Heiligen Geist. Er helfe ihnen, „die Wirklichkeit von Kirche und Gesellschaft vorbehaltlos anzuschauen und über notwendige Veränderungen angstfrei nachzudenken“.

Theo Paul und die anderen neun Generalvikare appellieren an alle Gläubigen in der ganzen Kirche, „das Wirken dieses Geistes nicht voreilig einzugrenzen“. Sie werben dafür, „einander zu vertrauen und jeder und jedem eine lautere Motivation und einen ehrlichen Glauben zu unterstellen.“

Generalvikar Theo Paul im Mai 2018 in Aurich – mit Pfarrer Johannes Ehrenbrink und Pastor Carl Borromäus Hack.

Weiter heißt es: „Die Krise der katholischen Kirche unseres Landes und unserer Zeit, die vielfachen kritischen Anfragen an sie durch unsere Mitmenschen und unsere Medien sind für uns ein ‚Zeichen der Zeit‘, eine Herausforderung, vor die Gott selbst uns stellt.“

Auch der nächste Satz hat es in sich!

„Im Weiter-so-Modus werden wir unserem Auftrag nicht mehr gerecht werden können.“

Der Brief bindet alle Engagierten in der Kirche ein. So ist er zugleich ein Appell an die Gemeinden vor Ort. Denn auch hier verfehlen wir im Weiter-so-Modus („bei uns ist doch von jeher alles gut und schön gewesen“) unseren Auftrag. Wir brauchen einen freien Blick auf die Realitäten vor unserer Haustüre.

Auch bei uns treten Gläubige aus der Kirche aus. 2016 waren es im Dekanat Ostfriesland 274, im Jahr 2017 gingen 321, im Jahr 2018 waren es 406 . Der Gottesdienstbesuch sank leicht von ohnehin mageren 5,8 Prozent aller Katholiken im Dekanat (2016) über 6,2 Prozent (2017) auf 5,6 Prozent (2018).

Bei uns ist doch von jeher alles gut und schön gewesen? – Das empfinden besonders die, die sich mit sehr viel Engagement und großartigen Angeboten vor Ort einsetzen. Doch was zusätzlich Not tut, ist ein perspektivischer und bündelnder Blick über die beschriebenen Realitäten hinaus auf einen künftigen, gemeinsamen Weg.

406 Austritte im Dekanat allein 2018! Wir wissen nicht einmal, was diese Menschen bewegt hat, was ihnen gefehlt hat oder aufgestoßen ist. Wenn wir nicht neue Wege beschreiten, werden wir eines Tages nicht mehr den Hirten haben, der 99 Schafe verlässt, um das eine verlorene zu suchen. Er wird, wenn es übel kommt, nur noch ein Schaf hüten, weil 99 das Weite gesucht haben.

Die Generalkvikare sind davon überzeugt, „dass uns Gottes Wille zu deutlichen Schritten der Veränderung ermutigt“. Dies werde mit schmerzhaften Abschieds- und Veränderungsprozessen verbunden sein, „Widerstände und emotionale Auseinandersetzungen inbegriffen“. Die hat es in unserer Pfarreiengemeinschaft bereits heftig gegeben.

Da tut es gut, dass die Zehn zu einer Haltung ermuntern, in der Menschen voneinander und miteinander lernen. „Es wird wichtig sein, unterschiedliche Auffassungen zu hören und zu verstehen und miteinander darum zu ringen, welche Veränderungen in unserer Kirche möglich sind.“ Eine gewisse Selbstdistanz, die nicht persönliche Befindlichkeiten und Gefühle zum Maßstab oder zum Argument erhebt, hilft beim Dialog.

Die Generalvikare halten sich nicht mehr mit der Frage auf, ob Veränderungen nötig sind. Sie beschreiben die Haltung, in der sie vorangetrieben werden müssen. „Indem wir die Realität anerkennen und indem wir die Möglichkeiten und Grenzen, diese Wirklichkeit zu verändern, im Glauben an Gottes Wirken, mutig und demütig nutzen, werden wir die verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.“

Dies ist eine substantielle Herausforderung auch an unsere Gemeinden, ihre Verantwortungsträger und alle Gläubigen. Dabei müssen die „schmerzhaften Abschieds- und Veränderungsprozesse“ auf örtlicher Ebene nicht verschwiegen werden. Sie zählen zur manchmal bitteren Realität dazu.

Vielleicht können wir sie mit dem Stottern eines gutwilligen und doch älteren Auto-Motors vergleichen, der neu gestartet werden soll und zunächst ein bisschen vor sich hinörgelt. Dann braucht es Leute, die das Auto mit vereinten Kräften anschieben. Sobald es sich warm gelaufen hat, läuft es rund und kann auf die Straße.

Wohin der Weg geht? Das bestimmen vor Ort unsere Pfarrgemeinderäte maßgeblich mit. Das ist ihr pastoraler Auftrag. Der Prozess ist angeschoben,

sagt herzlich eure
Turmflüsterin

Das Schreiben der Generalvikare