Gassenhauer: Wow, was für ein Einstand

Das war großes Theater auf kleiner Bühne! „Wow!“, sagte unmittelbar nach der Aufführung ein Gast: „Das ging unter die Haut.“ Eindringlich hatte die Theater-Familie Gassenhauer Demenz „gespielt“.

Der Schlussapplaus klang fast so laut wie der Beifall nach der letzten Märchenaufführung 2017 in der Stadthalle und war mindestens so herzlich. Dabei hatten die Gassenhauer in der ungleich kleineren St.-Ludgerus-Kirche Freitag nur eine Art Trailer zu ihrem neuesten Stück über Demenz gezeigt (siehe auch Vorbericht). Jetzt sind vermutlich alle, die dabei waren, gespannt auf die große Aufführung am 21. September, dem Welt-Alzheimertag, in der Stadthalle.

Die jungen Akteure brachten Freitag ihre Botschaften von Nähe und Ferne, Liebe und Einsamkeit, Hilfe und Überforderung, Vergessen und Verzweiflung so eindringlich und dicht herüber, dass das Publikum zwischendurch kaum wusste, ob es lachen oder heulen sollte. Was gerade noch wie Komik aussah, entlud sich im nächsten Moment als Katastrophe, die über eine Familie hereinbricht.

Sie trugen im Sprechchor ihre Nöte vor.

Eine der Szenen: Oma Rot findet ihre Schlüssel nicht. Sie liegen da, wo sie immer liegen. Die Angehörigen sind genervt. Oma hat auch vergessen, dass Opa seit zehn Jahren tot ist. Sie will unbedingt in die Küche, um Essen für ihn zu kochen. Kinder und Kindeskinder scheitern mit ihren Versuchen, Oma in die Realität zu holen. Sie bekommen zu spüren, wie groß der Unterschied zwischen Realität und Wirklichkeit sein kann.

Oma Rot hat eine eigene Wirklichkeit. Für sie ist das Tischtuch ein eleganter Umhang. Immer wieder mopst sie ihn vom Tisch. Sie macht das wunderbar kess. Natürlich darf gelacht werden. Und doch ahnt jeder, dass sie mit ihrem Umhang unterwegs ist in eine Küche, in der das Wesentliche fehlt: ihre versunkene Welt mit Opa und all den anderen altvertrauten Schätzen, die ihr einmal Halt gegeben haben. Sie ringt die Hände, resigniert. Sie weiß nicht, was los ist.

Oma Rot – einsam am Tisch und mit einem großen Fragezeichen im Blick, irgendwie schon am Rand. Eine Angehörige „flieht“ genervt.

Die jungen Darsteller sind stark darin, die verschiedensten Gefühlslagen von Erkrankten, Angehörigen und Pflegekräften darzustellen. Ihre Texte sind anspruchsvoll, manchmal wie abgedreht und manchmal wie Nonsens – zum Beispiel als plötzlich die Vertreterin eines Pflegeheims für Demenzkranke erscheint, im Publikum Prospekte verteilt und ihrem Haus Qualitätsgüte im DIN-A-3-Bereich zuspricht. Über solche Sätze, die noch das Kranksein in eine Norm fassen, muss man erst mal nachdenken…

… genauso wie über den Redefluss einer Psychologin, die ihrer Selbsthilfegruppe pauschal eine „ganz persönliche Mitte für alle“ andrehen will und nicht kapiert, dass jedes Schicksal seine ganz eigene Not hat.

Sie bot Hilfe im DIN-A-3-Format.

Nachdenkliches Publikum. Der Trailer ließ niemanden kalt.

Die Dämonen kommen – Unsicherheit, Verzweiflung, Angst, Einsamkeit und wie sie alle heißen.

Sie umringen die Kranke und ergreifen Besitz von ihr.

Die jungen Leute haben ihr Bestes gegeben. Und es ist erstaunlich genug, dass sie, die in ihrem Leben oft selbst Erfahrung mit psychischer oder physischer Gewalt machen mussten, sich dem Leid anderer und dann oft viel älterer Menschen derart authentisch zuwenden können.

Wie gesagt: Das Stück ist großes und sehr gutes Theater. Leider waren Freitag in der Kirche viele Plätze leer geblieben. Herzliche Einladung daher für den 21. September, 19 Uhr, in die Stadthalle.

Text und Fotos Delia Evers

Nach dem Schlussapplaus umarmten sich die Darsteller glücklich. Zwischendurch hatte es immer wieder Szenenapplaus gegeben.

Er hatte immer wieder verzweifelt nach seiner Tochter Sabine gerufen. Als sie kam, erkannte er sie nicht und scheuchte sie ängtlich von sich – ein eindrucksvoller Beitrag.

Im Publikum saß auch Margret Fiebig-Drosten von der Alzheimer Gesellschaft Aurich/Ostfriesland e.V.. Sie klärte kurz und bündig über den Alzheimertag auf, zu dem das ganze Stück der Gassenhauer im September aufgeführt wird (Bericht folgt rechtzeitig).