„Ich las die Bibel nicht, ich träumte sie“

Am 20. Juli begrüßte die Leiterin des Historischen Museums in Aurich, Brigitte Junge, 21 Klüngeltüngels. Sie waren gekommen, um sich die Ausstellung „Bilder zur Bibel“ von Marc Chagall anzusehen.

Das Museum zeigt 40 meist farbige Lithographien (Steindrucke) mit Themen aus dem alten Testament. Es sind neben der Schöpfung und Vertreibung aus dem Paradies große Frauengestalten wie Ruth, Sara und Esther, aber auch der Exodus aus Ägypten und die Könige Saul und David zu sehen.

Die Kunstwerke wurden von der ehemaligen Bremerhavener Kirchenmusikerin Christa Krämer privat gesammelt. Seit ihrem Eintritt in den Ruhestand lebt Krämer im Kloster Neuenwalde. Sie stellt ihre Sammlung verschiedenen Museen zur Verfügung.

Der Flyer zur Ausstellung.

In ihren Ausführungen informierte Brigitte Junge ihre Zuhörer zunächst detailliert
über das Leben des Künstlers.

Marc Chagall wurde 1887 als Moishe Segal im weißrussischen Witebs als ältestes von neun Kindern geboren. Seine Eltern gehörten dem chassidischen Glauben an. Sie waren eingebettet in die jüdische Gemeinde: Über die Hälfte der Einwohner des kleinen Städtchens waren Juden. Die Religion war Dreh- und Angelpunkt im Leben der Eltern Segal. Und so hat sich auch Moishe, später Marc, viel mit der Bibel beschäftigt.

Als berühmter Maler sagte er selber: „Die Bibel schien mir und scheint sie immer noch die reichste poetische Quelle aller Zeiten zu sein. Sie ist wie ein Echo der Natur, und ich habe danach gestrebt, dieses Geheimnis weiterzugeben.“

Man darf Chagall allerdings nicht auf die Bibel reduzieren, denn seine Schaffenskraft war unendlich; sein zweites großes Thema in der Malerei ist die Liebe.

Die Familie lebte in recht ärmlichen Verhältnissen. Der Vater arbeitete in einer Fischfabrik. Als seine Mutter eine kleine Erbschaft machte, konnte sie einen Laden eröffnen und ermöglichte so ihrem Sohn, Gesangs- und Geigenunterricht zu nehmen. Sie sorgte auch für eine weitergehende Schulbildung, die mit Zahlung eines Schulgeldes verbunden war. Sein Vater hatte wenig Verständnis für die Wünsche seines Sohnes und hielt es für herausgeschmissenes Geld.

Chagall ging 1907 nach St. Petersburg und entschied sich dort für das Studium der Malerei. Da der Realismus der Kunststil dieser Zeit war, verurteilte sein Lehrer Chagalls Bilder als „Geschmiere ohne Sinn“.

Fantasievolle Bilderwelt.

Nach Schul- und Lehrerwechsel begann er ein Jahr später seinen eigenen Stil zu entwickeln und experimentierte mit dem Einsatz von Farben.

Die verwendeten Farben erhielten eine besondere Symbolik:

So steht Grün für die Hoffnung, zudem für den Frühling und allgemein für das Leben. Die Nichtfarbe Weiß bedeutet Licht.

Die Farbe Rot versinnbildlicht das Leben und die Liebe, sie steht für Fruchtbarkeit und menschliche Wärme.

Aber auch die Sünde ist rot und die Scham. Lila symbolisiert das Göttliche.

1910 erhielt Chagall ein Stipendium und ging nach Paris. Dort traf er auf einen Förderer junger Künstler, der ihm 1914 eine erste Einzelausstellung in Berlin ermöglichte. Zur Vernissage reiste er nach Berlin und anschließend weiter nach Witebs. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte eine Rückkehr nach Paris unmöglich.

Er heiratete seine große Liebe Bella Rosenfeld, die er bei einem früheren Besuch in seiner Heimatstadt kennen gelernt hatte. Die beiden zogen nach St. Petersburg, das jetzt Petrograd hieß und bekamen eine kleine Tochter, Ida. 1919 übersiedelte die kleine Familie nach Moskau, wo Chagall ihren Lebensunterhalt mit Unterricht für Künstler verdiente. Sie lebten in bitterer Armut, bis er von einem Berliner Galeristen den Auftrag bekam, Radierungen von Werken verschiedener Dichter anzufertigen.

Mit Frau und Kind kehrte er zunächst nach Berlin und später nach Paris zurück, wo er 1930 von seinem Pariser Verleger aufgefordert wurde, die Bilder zur Bibel zu schaffen. Er bereiste daraufhin Ägypten, Palästina und Syrien und arbeitete von 1931 bis 1939 an diesem Auftrag.

In Nazi-Deutschland wurden seine Bilder 1937 in der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt und zwei Jahre später bei der Bilderverbrennung vernichtet.

Als die deutsche Wehrmacht 1940 Paris besetzte, waren die Chagalls dort nicht mehr sicher. Sie verließen Paris und gingen ins Exil nach New York. Dort verstarb seine geliebte Frau schon drei Jahre später. Chagall kehrte im Sommer 1948 nach Frankreich zurück. Er bereiste Israel und vollendete seine „Bibel-Bilder“ in den Jahren 1952bis 1956. Nach einem Leben voller Schaffenskraft starb er 1985 im gesegneten Alter von 98 Jahren.

Marc Chagall ist als der große Träumer in die Kunstgeschichte eingegangen. Seine Bilder erzählen Geschichten. Er hat seine Lebenswelten gemalt, alle Dinge, die er geliebt und von denen er geträumt hat. Er hat seine ganz eigene Bildsprache, die sich symbolischer Figuren bedient, die direkt das Unterbewusste ansprechen sollen.

So scheinen in seinen farben-prächtigen Bildern die Gesetze der Logik und der Schwerkraft außer Kraft gesetzt zu sein. Menschen, Tiere und fantastische Wesen schweben scheinbar isoliert durch den Raum, und sind doch auf unsichtbare Weise miteinander verbunden.

Ihm wird der Satz zugeschrieben: „Ich las die Bibel nicht, ich träumte sie.“

Mit seinen Bildern zur Bibel traf er viele Menschen mitten ins Herz. Die sorgfältige Auswahl der biblischen Themen und Bilder lässt erahnen, wie intensiv er sich in den Jahren vor ihrer Entstehung mit der Existenz des Menschen und dessen Glauben an Gott auseinander gesetzt haben muss, um am Ende seiner künstlerischen Reise durch das Alte Testament sage und schreibe 135 Originalgrafiken geschaffen zu haben.

Zum Ausklang des Nachmittags fanden sich noch einige weiterte Klüngeltüngels ein, denn es war noch ein gemeinsames Grillen und der spätere Besuch des Weinfestes geplant.

Text: Elisabeth Funke