Kinderhospiz: ein schwer beeindruckender Rundgang

2016-08-27 Kinderhospiz5_1Mitglieder aus den Gemeinden von Neuauwiewitt lernten in der Reihe „Glaube im Gespräch“ das Kinderhospiz in Wilhelmshaven kennen. Das war ein buchstäblich schwer beeindruckender Rundgang.

Was den kleinen und jungen Gästen in diesem Haus an professioneller Betreuung, an menschlicher Zuwendung und Hingabe geschenkt wird, ist tief bewegend.

Die stellvertretende Pflegedienstleiterin und Kinderkrankenschwester Jette Schaps begleitet unsere Besuchergruppe durch die Kinder- und Jugend-Einrichtung, die in den ersten zwei Jahren seit ihrer Eröffnung rund 250 Kinder und Jugendliche beherbergt hat.

Jette Schaps, jung, munter, versiert und begeistert von ihrer besonderen Arbeitsstelle, erzählt von den Anfängen des Kinderhospizes. Sie spricht – das Redekonzept gut strukturiert im Kopf – in druckreifen Sätzen und breitet immer wieder Bilder in den Köpfen ihrer Zuhörer aus, die weit mehr aussagen als ein Fachvortrag.

Jette Schaps führt ihre Gäste aus Neuauwiewitt durch das ganze Haus.

Jette Schaps (l.) führt ihre Gäste aus Neuauwiewitt durch das ganze Haus.

So schildert sie, wie Joshua, ein krebskranker Jugendlicher aus der Umgebung, sich einst gewünscht hatte, nicht in einem Erwachsenenhospiz fernab der Heimat sterben zu müssen.

Er wollte in der Nähe von Wilhelmshaven bleiben und seine Freunde um sich haben – nicht ältere sterbende Menschen mit ganz anderen Wünschen und Anforderungen.

Joshua hat die Fertigstellung des Hospizes nicht mehr erlebt. Er starb 2012. Aber er ist einer der Ideen-Initiatoren für das, was längst zu einem Segen für Kinder und ihre Familien geworden ist. In ganz Deutschland gibt es nur 15 Häuser dieser Art.

Die Arbeit im Kinderhospiz unterscheidet sich grundlegend von der in Erwachsenen-Hospizen. Im Wilhelmshavener Haus können Familien mit schwerstkranken und lebenslimitierten Kindern aus ganz Deutschland Entlastungstage verbringen.

Im Schnitt sind die Mädchen und Jungen neun Jahre alt und bleiben, überwiesen von ihrem Kinderarzt, neun bis zwölf Tage in einem der acht Betten.

Gastraum für Familien, hell, schlicht, hochwertig und geschmackvoll eingerichtet.

Gastraum für Familien, hell, schlicht, hochwertig und geschmackvoll eingerichtet.

Die Fachleute im Haus nehmen die kranken Kinder unter ihre Fittiche und lassen ihnen in jeder Hinsicht erstklassige Hilfe zukommen. Eltern und Geschwister wohnen eine Etage höher in eigenen Zimmern.

Jette Schaps erzählt von einem fünfjährigen Mädchen, das mit seiner Familie die todkranke ältere Schwester begleitete. Die Fünfjährige habe dem Personal vor Ort ausführlich erklärt, was die kranke Schwester alles brauche, auf welche Signale am Monitor zu achten sei und wie sie – mit welchen Konsequenzen – gedeutet werden müssten.

Mit einem Satz macht Jette Schaps klar, wie sehr das Leben ganzer Familien in solchen Grenzsituationen auf den Kopf gestellt ist: „Eine Fünfjährige sollte mit ihrem Puppenwagen durch die Gänge düsen und ihrer Puppe die Haare kämmen.“

Noch ein Blick in eines der Appartments für Familien.

Noch ein Blick in eines der Apartments für Familien.

Der Familie ein Stück Normalität zurückzuschenken, dafür setzen sich im Hospiz 25 hauptamtliche Kräfte, darunter Heilerziehungspflegerinnen und Kinderkankenschwestern, sowie rund 75 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer ein, die alle eigens und aufwendig geschult wurden.

Väter und Mütter sind um die ständige Sorge und Versorgung ihres kranken Kindes entlastet. Sie können sich wenigstens auf Zeit den Geschwisterkindern zuwenden, die oft im Alltag zu kurz kommen.

Denn das Dasein für ein lebenslimitiertes Kind bedeutet „24 Stunden Arbeit an 365 Tagen im Jahr“, sagt Jette Schaps. Da bleibt für die Familie kaum Raum, um durchzuatmen.

Das Kinder- und Jugendhospiz schenkt der ganzen Familie unvergessliche Tage – manchmal die allerletzten unvergesslichen, entspannten und friedlichen Tage, die ein Kind noch hat, ehe es stirbt.

Vielfältige Kooperationen z. B. mit Marine, Jugendfeuerwehr und THW helfen, den Kindern und ihren Familien letzte Wünsche zu erfüllen.

In diesem Raum überträgt ein Holzbett Schallwellen von Musikinstrumenten auf den Körper der Kinder.

In diesem Raum überträgt ein Holzbett Schallwellen von Musikinstrumenten auf den Körper der Kinder. Sie lieben die sanften Vibrationen.

Einige Kinder möchten zum ersten und letzten Mal im Leben das Meer sehen, erzählt Jette Schaps. Daher reisen Familien mitunter aus Süddeutschland an. Sind die kleinen Gäste nicht mehr über lange Strecken transportfähig, werden sie im Flugzeug nach Mariensiel ganz in der Nähe und dann ins Hospiz gebracht.

Mit einem eigenen Wattmobil, in dem auch Überwachungsmonitor und Sauerstoffgerät Platz haben, geht’s später direkt ans Meer. Jette Schaps: „Sie glauben gar nicht, wie schön das für die Kinder und die Familien ist!“ … gerade auch für die Geschwisterkinder: Oft bringt die aufwendige Pflege der kranken Mädchen und Jungen finanzielle Engpässe mit sich.

Ehen halten nicht immer. Einkommen brechen weg. Die Krankenkasse zahlt nicht alle Aufwendungen. Für die Klassenfahrt oder die neuen Fußballschuhe der Geschwisterkinder ist plötzlich kein Geld mehr da. Sie fühlen sich doppelt zurückgesetzt und schämen sich zugleich, da sie an sich selbst denken.

Manche Eltern brauchen zwei, drei Tage, bis sie ihren kranken Schützling im Hospiz ganz den Händen der Profis anvertrauen mögen. Plötzlich stehen sie ohne große Gewerke da. „Sie können endlich mal wieder eine Tasse Kaffee trinken, die nicht schon kalt ist. Oder ein ganzes Buch zu Ende lesen…“

Frauen beginnen oft zu nähen. Jette Schaps erzählt von besonderen Kleidungsstücken, die es nirgends zu kaufen gibt. So haben Mütter hier schon Bodys für ihre Kinder gefertigt, die in Nabelhöhe ein Loch haben: für die Magensonde, über die die Kleinen ernährt werden.

Das ist wieder so ein Bild, das Jette Schaps ausbreitet. Es dokumentiert Tiefe und Dichte des Arbeitsansatzes: Die Mütter sind auf Zeit entlastet, blenden die Erkrankung ihrer Kinder aber nicht aus; sie werden selbst und auf neue Art kreativ und erleichtern sich und ihren Kindern die Pflege.

Männer beginnen im Hospiz zu häkeln oder zu stricken. Manchmal fragen sie verlegen den Hausmeister, ob sie irgendwo helfen können, sind glücklich, wenn sie – auch ein Kooperationsmodell – auf einer Fregatte in Wilhelmshaven „anheuern“ können, Meer und Öl riechen und für ein paar Stunden „normal“ sein dürfen.

Manchmal kommen sie mit dem Wunsch, ohne ihre Frau eine eigene Zeit mit dem sterbenden Kind zu verbringen. Männer und Frauen haben unterschiedliche Weisen, mit der Krankheit oder dem Sterben ihrer Kinder umzugehen. Die Fachkräfte im Hospiz haben hier schon viel für den inneren Frieden von Familien getan.

In diesem Raum mit den Doppelstockbetten fühlen sich Geschwisterkinder besonders wohl.

In diesem Raum mit den Doppelstockbetten fühlen sich Geschwisterkinder besonders wohl.

Im Garten voller Blumen steht ein eindrucksvolles Kreuz. Im Hospiz sind Kinder aller Glaubensrichtungen willkommen.

Im Garten voller Blumen steht ein eindrucksvolles Kreuz. Im Hospiz sind Kinder aller Glaubensrichtungen willkommen.

Sie bieten auch Trauerbegleitung an. Sie erkennen die Gemütslage der Eltern. „Wenn ein Kind seinen Lebensweg zu Ende gehen möchte und stirbt, fällt bei den Eltern die Lebensaufgabe weg.“

Auch die Fachkräfte im Hospiz trauern. Mitunter haben sie ein Kind über Jahre für die Zeit seines Aufenthalts im Hospiz begleitet. Rituale und Supervisionen mit Psychologen helfen ihnen, selbst immer wieder Kinder gehen zu lassen und angemessenen Abstand zu wahren.

Gleichwohl bleibt es für sie ein berührender Moment, wenn die Angehörigen in einem Werkraum den Sarg des eigenen Kindes bunt bemalen möchten. Oder wenn sie in einem Raum, in dem ihr Kind in einem Kühlbett drei Tage aufgebahrt werden kann, die Wände mit persönlichen Fotos und Kuscheltieren schmücken.

In diesem Abschiedsraum können die verstorbenen Kinder aufgebahrt werden.

In diesem Abschiedsraum können die verstorbenen Kinder aufgebahrt werden.

Manchmal wird auf Wunsch der Familie ein Hörbuch eingelegt – mit den Lieblingsgeschichten ihres Kindes. Dann hext schon mal Bibi Blocksberg mit ihren Freunden Marita, Florian und Moni durch den Raum.

Jette Schaps betont beim Rundgang durch das Gebäude leise: „Das ist unser letzter Raum.“ Die Eltern sehen und begreifen, dass das verstorbene Kind sich an Haut und Haaren verändert. Ehe der Bestatter kommt, schmücken die Fachkräfte mit den Familien den Weg nach draußen. „Dann geben die Eltern ihr Kind ab.“

Zu diesem Zeitpunkt haben sie mit ihrem Kind die vielleicht intensivste Zeit seines Lebens verbracht. Viele von ihnen haben noch gemeinsam gelacht („es wird viel gelacht“), gespielt, das Meer entdeckt, mit den Füßen im heißen Strandsand gesteckt, auf einem Pferd gesessen und die eigenen Gefühle zugelassen.

Der kurze Lebenskreislauf der Kinder hat sich schmerzlich und zugleich unerwartet reich geschlossen.

Das Hospiz lebt von Spenden. Lediglich der Aufenthalt ärztlich eingewiesener Kinder (in der Regel bis max. 28 Tage im Jahr) wird über die Krankenkassen finanziert. Der Aufenthalt der Eltern und Geschwister, der den kranken oder sterbenden Kindern die Zeit im Hospiz so wertvoll macht, muss über Spenden bezahlt werden.

Weitere Informationen, zum Beispiel zu Bankkonten, Trägerschaft etc., finden sich auf der Webseite des Hospizes.

Steffi Holle bedankt sich bei Jette Schaps (r.) für die erstklassige Führung mit einer Geldspende und einer Neuauwiewitt-Tasse.

Steffi Holle bedankt sich bei Jette Schaps (r.) für die erstklassige Führung mit einer Geldspende und einer Neuauwiewitt-Tasse.

Fotos von Räumen (3): Kinderhospiz; restliche Fotos: Delia Evers