Stadtfest | Abdul „Budi“: „Das ist die beste Stadt hier“

2016-08-21 Stadtfest5_1Von Delia Evers | Das war ein bunter und offener Stadtfestgottesdienst – so offen, dass ein alkoholisierter Herr fortgesetzt und lautstark die tollen Stimmen der Happy Voices aufmischen durfte. Alle ließen ihn grölen.

Bunt und offen – das war das Leitwort für die Feier aller Christen in der Stadt. Im Schlosspark begrüßte Superintendent Tido Janssen von der evangelisch-lutherischen Lambertigemeinde Aurich Sonntagmorgens um Elf unter freiem Himmel überraschend viele Gläubige. Janssen sagte, die Stadt habe sich „durch Menschen, die hier ein neues Zuhause gefunden haben“, verändert.

Diese Veränderungen, dieses Mehr an Kulturreichtum und Sprache, an Lebenssituationen und Lebensgewohnheiten, an geschenkter Hilfe und verändertem Blick auf die eigene Welt, waren Thema des Gottesdienstes.

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Blick in den hinteren Teil der Gottesdienstbesucher im Schlosspark.

Dechant Johannes Ehrenbrink von der katholischen St.-Ludgerus-Gemeinde Aurich stimmte die Gläubigen nach dem musikalischen Auftakt der Posaunenchöre mit einem Gebet ein. Er sprach von einer Bereicherung der Stadt durch zuziehende Menschen. Ehrenbrink bat Gott um Beistand, damit die Lebensweisen, die uns zunächst vielleicht noch fremd seien, vertrauter würden. Auch gelte es zu verhindern, dass wieder Zäune und Mauern aufgerichtet würden, an denen die existenzielle Not von Menschen für andere Ziele missbraucht werde.

Der Dechant erbat sich, „dass Aurich eine offene und bunte Stadt bleibt“, denn alle Menschen seien Kinder Gottes.

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Einige der teilnehmenden Geistlichen: v.r. Tido Janssen, Angelika Scheepker, Andreas Scheepker und Johannes Ehrenbrink – im Hintergrund die Posaunenchöre.

Zwei Syrer kletterten aufs Podium und mit ihnen Pastor Axel Gärtner von der freien evangelischen Gemeinde Aurich sowie Pastor Karsten Beekmann von der evangelisch-lutherischen Gemeinde Walle. Die Geistlichen interviewten die Syrer. Omar, 23 Jahre jung und mit abgeschlossenem Jurastudium, ist noch keine zwei Jahre in Deutschland und längst mit fast perfekten Sprachkenntnissen ausgestattet. Er erzählte von seinen ersten Eindrücken, als er Weihnachten 2014 Auricher Boden betrat. „Alles war sehr schön beleuchtet.“

Hell blieb es für ihn nach traumatischen Erfahrungen in seiner Heimat auch danach in Aurich. „Die Menschen sind nett und hilfsbereit.“ Er schätze es, überall frei seine Meinung sagen zu dürfen. Als zu lang empfindet er das Warten auf die Aufenthaltserlaubnis.

Er sei neugierig auf alles, auch auf andere Religionen und mit allem zufrieden. Keck grinsend erklärte er mit Blick in den wolkenverhangenen Himmel: „Nur am Wetter sollte man noch etwas tun.“

Omar dankte den Aurichern und machte ihnen Mut. „Wir ernten, was wir säen. Ich werde nie vergessen, was Deutschland für mich getan hat.“ Er wolle viel zurückgeben, sobald er dazu in der Lage sei.

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Omar (2.v.r.) und Abdul mit Axel Gärtner (r.) und Karsten Beekmann.

Abdul „Budi“ ist noch sehr jung. Er erzählte von seiner Angst. Er hatte keine Vorstellung, was ihn in Deutschland erwarten würde und wie er in der Fremde zurechtkommen sollte. „Doch plötzlich waren da viele Menschen, die nett waren und mir geholfen haben.“ In der Schule ist er so gut, dass er innerhalb weniger Monate zweimal eine Klasse überspringen konnte. In sechs Monaten lernte er ein erstklassiges Deutsch. Den Aurichern rief er zu: „Das ist die beste Stadt hier.“

Karsten Beekmann erzählte, dass Abdul für sich selbst die Hilfsbereitschaft entdeckt habe. Der angehende Abiturient arbeitet in der Flüchtlingshilfe und gibt weiter, was er geschenkt bekommen hat. Abduls einfache Erklärung: „Ich kenne mich richtig gut aus.“ Er hat das ganze Prozedere zwischen Ankommen und Aufnahme selbst durchlebt.

Besonders gern arbeitet er in der Kinderbetreuung. „Mit einer kleinen Sache machst du ein Kind glücklich. Ich finde es sehr schön, für Kinder etwas zu machen.“

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Die Happy Voices vor der Bühne.

Das Pastorenpaar Andreas und Angelika Scheepker hielt die Predigt – in den drei Sprachen, die Menschen hier im allgemeinen verstehen: in Hochdeutsch, in Plattdeutsch – und über andere. Nein, ein kleiner Scherz von Andreas Scheekper: natürlich für andere.

Die beiden erzählten vom Pfingstereignis aus der Apostelgeschichte. Menschen unterschiedlichster Nationen hören die Jünger aus Galiläa – befeuert vom Heiligen Geist – in ihren eigenen Sprachen reden. Es ist die eine Sprache, die alle Menschen verstehen, wenn sie mit ihren Ohren wirklich zuhören.

Da wurde sie wieder greifbar, die Angst von Budi: Würde er auf Menschen treffen, die ihn verstehen und die wirklich zuhören? Oder würde er allein sein? Manchmal, sagte Andreas Scheepker, könnten Menschen Haus an Haus wohnen, und doch sei der Weg zwischen ihnen zu weit, und sie blieben allein.

Auch der Mund sei wichtig, sagte Angelika Scheepker. Wer den Mund halte, nehme Stellung und mache den Weg frei für Unrecht. „Gott braucht Menschen, die den Mund auftun und auch ’nein‘ sagen“, wenn es angebracht sei.

Dann gelte es noch, das eigene Herz weit zu machen, nicht unter sich zu bleiben, sondern die Lebendigkeit zu wählen, die den Menschen neu mache. „Es kann nicht bleiben, wie es war. Jesus will uns immer wieder neu machen, offen machen für neue Wege.“ Sie bat darum, nicht auf die Angst zu hören, die da sage, ‚wir können nicht allen helfen‘, sondern auf das Herz zu hören: „Was du freiwillig gibst, wird dir niemals im Leben fehlen.“

Fürbitten aus den christlichen Gemeinden, Vaterunser und Segen entließen die Gläubigen in den Sonntag und den geselligen Teil mit vielen Köstlichkeiten, u.a. von Koch- und Klönrunde und Männerbackkreis – allerdings nicht bevor Tido Janssen allen Mitwirkenden für ihre Hilfe gedankt hatte.

„We shall overcome“, sang die Gemeinde, das Lied der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, das längst weltweit zur Protesthymne gegen Missstände im menschlichen Miteinander geworden ist. „We shall overcome.“ Wir werden es überstehen – oder wie eine sehr bekannte deutsche Politikerin übersetzen würde: „Wir werden es schaffen.“

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Am Rande der Feier gratulierte Bürgermeister Heinz-Werner Windhorst Schwester M. Magdalena zum Schwesternjubiläum.