Theaterfamilie Gassenhauer: Haben haben haben

Haben haben haben. Das ist eine unzulässige Wortwiederholung, meldet das elektronische Rechtschreibprogramm. Auch sonst verheißt „haben haben haben“ nichts Gutes. Darüber machten sich junge Mitglieder

der Theaterfamilie Gassenhauer ihre eigenen Gedanken. An den beiden kommenden Fasten-Wochenenden erklären sie in katholischen Gottesdiensten in St. Ludgerus Aurich ihre Sicht auf Habenwollen und Hungertuch, auf Habgier und Geben. Sie erklären, was ein gebrochener Fuß mit gebrochenen Menschenrechten zu tun hat – und warum wir alle uns diesen gebrochenen Fuß aus der Nähe ansehen können.

MISEREOR und Brot für die Welt setzen mit diesem Hungertuch ein Zeichen für die Ökumene: Gemeinden beider Konfessionen nutzen das Bild und machen Mut, weiter an der Einen Welt zu bauen.

Dieser Fuß dominiert das Hungertuch der weltweiten Misereor-Aktion 2021/2022 und hängt auch in der Auricher Kirche. Basis des künstlerischen Werks ist ein Röntgenbild, das den gebrochenen Fuß eines Menschen zeigt. Er ist in Santiago de Chile bei Demonstrationen gegen soziale Ungleichheit durch Staatsgewalt verletzt worden.

„Ab wann werden Füße gebrochen? Ab wann wird das Unrecht gesprochen?“, fragt Jann Janssen in seinem Lied, das er eigens für diesen Gottesdienst geschrieben und komponiert hat.

„Was weiß ich denn!?“, wird einer der jungen Gassenhauer im Gottesdienst fragen. Chile, „das ist doch weit weg.“ Die Ursachen von Gewalt und Not an anderen Orten der Welt sind allerdings ganz nah.

Im Vorfeld der digitalen Proben für die Gottesdienste hatten die jungen Gassenhauer sich mit ihren „Ollen“ in Videokonferenzen das Bild des gebrochenen Fußes angesehen und Worte kreisen lassen. Gerade für den Fuß und seine Schritte hat unsere Sprachkraft zahlreiche Bilder hervorgebracht. Die Gassenhauer ließen sich davon inspirieren.

Sie schauten auf Menschen, denen etwas auf den Fuß oder vor die Füße fällt oder die auf großem Fuß leben, während andere zu Kreuze kriechen. Sie betrachteten Menschen, die den Boden unter den Füßen verlieren, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, die nicht Schritt halten oder über die eigenen Füße stolpern, vielleicht, weil sie auf dem falschen Fuß erwischt worden sind. Und doch können sie wieder auf die Füße kommen.

So näherten sich die jungen Leute dem Leitwort der Misereor-Aktion an: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum  – die Kraft des Wandels“.

Dieses uralte Psalm-Wort, so wird im Gottesdienst zu hören sein, „beschreibt, was im Glauben alles möglich ist. Die Metapher des Fußes lässt uns an Aufbruch, Bewegung und Wandel denken; das Bild des weiten Raums lässt uns aufatmen und ermutigt zu Visionen. Und der Vers sagt noch mehr: Gott öffnet uns nicht nur einen weiten Horizont, er gibt uns auch festen Stand. Wenn menschlich gesehen alles hoffnungslos erscheint, zeigt Gott uns Auswege.“

Es folgt ein aufrüttelndes Zwiegespräch zwischen zwei Gassenhauerinnen. Die Schlussmeditation öffnet trotz aller menschlichen Begrenztheit, die ehrlich angesprochen wird, voll Hoffnung den weiten Raum, in den wir unsere Füße vertrauensvoll stellen können.

Für die Gassenhauer, die sich in Pandemie-Zeiten nicht zu Proben treffen dürfen, die also nicht mit ihrer Theater-Familie zusammen sein können, bieten die Auftritte an den beiden Wochenenden zwei Chancen: Die jungen Leute – maximal zwei bis drei gleichzeitig im Altarraum – bleiben wenigstens minimal mit allen positiven Begleiterscheinungen im Theater-Flow; und sie können ihr gesellschaftliches Engagement, das sie schon in ihren großen Aufführungen vor vielen Hundert Menschen gezeigt haben, deutlich machen.

Sie geben angestiftet vom Betreuungsteam ein ermutigendes Beispiel: Sie gehen aus engster Corona-Begrenzung, die kaum Raum für die natürliche Bewegung gerade auch der Jugend lässt, selbst in die Weite. Sie zeigen, dass dies mit Zuversicht, Kreativität und Offenheit gelingt, und sagen genau dies im Gottesdienst:

„Wenn wir auf dich, Gott, vertrauen, muss das, was schon immer so war, nicht so bleiben, weil es immer schon so war. Es ist dein Raum, Gott, wo große Weite nicht ängstigt, verwirrt, lähmt, sondern neue Perspektiven aufzeigt und Möglichkeiten und Wege eröffnet, die aus der Unendlichkeit deiner Liebe in die Freiheit führen!“

In diesen Heiligen Messen (mit Anmeldung) sind die Gassenhauer aktiv:

Samstag, 06.03., 19 Uhr

Sonntag, 07.03., 11 Uhr

Samstag, 13.03., 18 Uhr

Sonntag, 14.03., 11 Uhr.

 

Die Künstlerin Lilian Moreno Sánchez. Sie wurde 1968 in Buin/Chile geboren, studierte Bildende Kunst an der Universität von Chile in Santiago de Chile und kam nach ihrem Diplom durch ein Stipendium nach Deutschland. Hier setzte sie ihre Studien an der Akademie der Bildenden Künste in München fort; seit Mitte der 1990er-Jahre lebt und arbeitet sie in Süddeutschland. Ihre Kunst möchte oberflächliches durchbrechen und kreist um Leid und seine Überwindung durch Solidarität. Lilian Moreno Sánchez hat für das Hungertuch Bettwäsche auf drei Keilrahmen gespannt. Der Stoff stammt aus einem Krankenhaus und aus dem Kloster Beuerberg nahe München. Zeichen der Heilung sind eingearbeitet: goldene Nähte und Blumen als Symbol der Solidarität und der Liebe. Leinöl im Stoff verweist auf die Frau, die Jesu Füße salbt (Lk 7,37f) und auf die Fußwaschung (Joh 13,14ff ).

Text: Isburga Dietrich

Bilder: Härtl auf https://www.misereor.de/mitmachen/fastenaktion/hungertuch