Kötting, Ulrich | Malteser im Kirchenvorstand

Er sollte Pastor oder Anwalt werden, denn von Kindesbeinen an redete er viel. Mutter Agnes Kötting wäre für ihr Söhnchen Ulrich mit beiden Wegen einverstanden gewesen. – Das ist freilich nicht abzusehen…

… als sie am 30. Dezember 1953 Ulrich in der katholischen Raphaelsklinik in Münster auf die Welt bringt. Ihr Söhnchen Hans-Wolfram ist schon da, Rolf folgt etwas später. Ulrich ist von den Brüdern hübsch eingerahmt. Seine Familie ist ein Schatz.

Sie ist alles andere als reich und belastet durch Kriegserfahrungen. Vater Hans ist 1948 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen worden. Er hat auf Baumwollplantagen geschuftet und erschüttert erlebt, wie Arbeiter schwarzer Hautfarbe entwürdigt wurden.

Ulli berichtet über sein Leben und nimmt ein Fotoalbum zur Hand – mit Kommunionbild.

Auch die Erzählungen von Mutter Agnes beeinflussen das Kind. Sie hat in der „Braunen Zeit“ im Kleinen bewiesen, dass mutige Menschen nicht gleich an die Wand gestellt wurden, wenn sie den Mund auftaten.

Sie arbeitete bei der Reichspost und stellte Briefe u.a. bei Clemens August Graf von Galen zu, der ab 1933 Bischof von Münster war. Agnes empfand ihn als Lichtgestalt in dunkler Zeit.

Früh griff (der 2005 selig gesprochene) von Galen zentrale Aussagen der Nazi-Ideologie an und forderte seine Mitbrüder auf, sich mutiger und offener mit den Machthabern auseinander zu setzen.

Weltbekannt wurden seine Brandpredigten, die von ungezählten Helfern illegal verbreitet wurden.

Der junge Ulrich hört gebannt zu, wenn Mutter Agnes ihr Wissen und ihre Erlebnisse teilt. Sie durfte jüdischen Bürgern, die in oberen Stockwerken lebten, Post nicht mehr bis an die Wohnungstüren bringen. Sie musste sie unten ablegen. „Mutter weigerte sich. Sie hat die Post weiter nach oben getragen“, erzählt Ulrich.

Und hier das Bild noch einmal in voller Größe: Erstkommunion-Kind Ulrich in festlicher Aufmachung.

Und mehr noch: Die junge Frau sprach vor anderen über ihre Weigerung und griff Parteibosse an: „Mein Mann ist an der Front. Warum sind Sie hier?“

Freundinnen warnten sie: „Agi, halt die Klappe, sonst wirst du abgeholt.“ Agi hielt sich lieber an ihr Gewissen und kam unbehelligt durch die Nazi-Diktatur.

Noch Jahrzehnte später wird Ulrich sich mit der Frage beschäftigen, wie ein nahezu kollektives Schweigen, Wegsehen, Vertuschen und katholische Diplomatie mit den Machthabern ein schreckliches Unrecht möglich machten und lange über die Kriegszeit hinaus wirken ließen.

Er wird zu diesem Thema in Archiven forschen, mit Kollegen und Kolleginnen Ausstellungen durchführen und viel beachtete Vorträge über das Versagen der Justiz halten, die den Atem stocken lassen.

Schon in den frühen Jahren ihrer drei Kinder erweist Mutter Agnes sich als Hausfrau mit Leidenschaft. Sie ist eine starke Persönlichkeit, katholisch, großzügig, wenn sie es sich leisten kann, „ein bisschen streng“ und Antriebsfeder ihrer Kinder, die schließlich studieren sollen. Wenn sie etwas ausgefressen haben (das kommt, oh Wunder, auch bei Ulli vor), nimmt sie ihre Hand zur Hilfe. Als das einmal nicht durchschlagend hilft, beklagt sie sich beim Vater: „Tu du doch auch mal was.“

Er tut’s – und ist ansonsten ein „Vater, mit dem wir immer bestens klarkamen.“ Hans Kötting ist Maler, ruiniert sich beim Streichen von Atombunkern mit Spezialfarbe die Lungen und konvertiert als evangelischer Christ auf Bitten der Schwiegermutter zum katholischen Glauben.

Ulli durchläuft die normale Kinder-Laufbahn, dient am Altar besonders gern in Frühmessen (zur Belohnung gibt‘s noch vor dem Unterricht ein leckeres Klosterbrot) und ist bei gegnerischen Fußballteams als rechter Verteidiger gefürchtet. Glücklicherweise ist die Familie gerade mal wieder umgezogen – diesmal nach Mecklenbeck „ins zweitletzte Haus von Münster“. Es hat eine Riesenrasenfläche und als besondere Zutat Nachbarn mit weiteren Jungs.

Ulli glänzt durch seine Organisationsgabe. „Ich hatte früh eine Vorstellung davon, was andere zu tun hatten“, berichtet er grinsend. Andere offenbaren ihm, welche Vorstellungen sie für ihn haben: „Du wirst Pastor oder Anwalt.“ Begründung: „Du redest so viel.“ Als Kind kann Ulrich sich mit beiden Wegen anfreunden. Später entdeckt er die Einschränkungen im Bereich weiblicher Kontaktanbahnung und findet: „Pastor ist nichts für mich.“

Beeindruckende Erfahrungen sammelt er ab Mitte der 1960er-Jahre als ND-Mitglied in der Johannisgruppe von Pater Schlax SJ. Mit den Kameraden erlebt er die ersten Auslandsfahrten nach Frankreich und herrliches Zeltlagern in Westfalen.

Ulli mit Freunden. Wo er sich auf dem Bild befindet, lässt sich leicht erraten.

In der Volksschule kommt Ulrich bestens mit. Er wechselt aufs städtische Wilhelm-Hittorf-Gymnasium am Wasserturm und heimst sich ausgerechnet in seinem Lieblingsfach Geschichte eine schlechte Note ein. Ulrich ist stinksauer auf den Lehrer. Der will in der 11. Klasse nach der Weimarer Republik nicht etwa die Nazi-Diktatur durchnehmen, sondern lieber zurück zu den Griechen.

Ulrich widerspricht. Der Lehrer bleibt stur. Ulli auch – und tritt in den ersten Streik seines Lebens. Er macht nicht mit. Seine Note saust um Stufen in den Keller. Es gibt Wichtigeres: Ulrich bleibt seiner Überzeugung treu; die Nazidiktatur darf nicht ausgeklammert bleiben.

Ulli mit Freunden bei einem ND-Zeltlager: Essenfassen (eine Tätigkeit, die Ulli bis heute gern ausübt).

Der Heranwachsende fühlt sich von den aufflackernden Studenten-Protesten gegen die biedere Bundesrepublik bestätigt, die sich ihrer jüngeren Geschichte und Schuld nicht stellen will.

Vorbilder sind für Ulli, der Jura studieren möchte, zunächst Hans-Christian Ströbele und Otto Schily, beide Rechtsanwälte von Studenten, denen der Staat den Prozess macht, und Verteidiger von RAF-Mitgliedern. Ströbele und Schily werden später in Deutschland politisch Karriere machen und maßgeblich die Grünen voranbringen, eine Partei, mit deren Programm und Bewegung Ulrich sich bis heute verbunden fühlt.

Für Ulli ist damals klar: Politisch motivierter, individueller Terror kann eine Gesellschaft nicht voranbringen. Vorwärts geht es nur dadurch, dass die Gesellschaft die eigenen Interessen selbst in die Hand nimmt.

Diskussionsfreudiger Ulrich mit Klassenkamerad Heinz-Peter Büscher.

Ulli beginnt sein Jurastudium. Schon im ersten Semester hat er eine außerordentliche Begegnung. Helene tritt in sein Leben. Sie ist eine Kommilitonin im selben Studienfach, zwei Semester weiter und die Schwester eines ehemaligen Klassenkameraden, mit dem er Doppelkopf spielt.

Ulrich hat allerlei im Blick: sein Studium, seine junge Liebe, eine mögliche Familiengründung und die Finanzierung all seiner Vorstellungen. Gegen Mitternacht klettert er auf den Fahrersitz eines 7,5-Tonners und kutschiert den Laster, beladen mit Zeitungspaketen, durchs nördliche Münsterland. Dank Ulli liest die Bevölkerung zwischen Gronau-Epe und Rheine die allseits beliebte Hör zu, den Stern oder die Bild. Am frühen Morgen ist er wieder zu Hause, schläft, studiert nachmittags und hat im Lauf der Semester seine erste Wohnung finanziert.

Erst stark als rechter Verteidiger, später als Verteidiger der Rechte: Ulli mit Paul-Breitner-Matte und Fußballplatz-Matsche.

Doch noch sind die Räumlichkeiten für das Paar tabu. Erst muss katholisch geheiratet werden. 1976 spricht das junge Glück in der Kirche sein Ja-Wort. Ulrich sagt grinsend: „Erst danach sind wir eingezogen.“

Eine stressige Zeit beginnt. Beide bringen 1978 bzw. 1979 das Erste Staatsexamen hinter sich und befinden sich im zweijährigen Referendariat; da wird Helene mit Angelika schwanger.

Ulli und Helene durchlaufen Stationen bei den Gerichten, der Staatsanwaltschaft, in Rechtsanwaltskanzleien und in der Verwaltung. Töchterchen Angelika kommt im Juli 1980 zur Welt. Helenes Mutter unterstützt die junge Familie, wo sie kann. „Sie hat uns ganz lieb geholfen“, erzählt Ulli heute. „Neben einer tollen Mutter habe ich auch eine tolle Schwiegermutter bekommen.“

Parallel bereiten sich Ulli und Helene in theoretischem Unterricht auf das Zweite Staatsexamen vor. Helene schafft es 1981 und Ulli im August 1982 mit einer Spitzenbenotung. Er zählt zu den Besten in Nordrhein-Westfalen.

Allerdings gilt in Nordrhein-Westfalen mehr als ein Jahr lang ein Einstellungsstopp für Richter. Ulli lässt sich als Rechtsanwalt anstellen. Die Arbeit macht ihm Spaß, doch er möchte mehr. „Ich wollte nicht nur verteidigen und eine Entscheidung vorbereiten, sondern selbst urteilen.“ Ulli hält Ausschau nach Angeboten in Schleswig-Holstein und im nördlichen Niedersachsen. Dort haben Helene und er bereits mehrfach Kurzurlaube gemacht und sich wohl gefühlt. In Aurich ist eine Stelle frei. Die Kollegen nehmen ihn gerne. Hier sprechen bereits mehrere andere Juristen aus Münster Recht.

Am 3. Oktober 1983 bezieht Assessor Ulrich im Landgericht sein Dienstzimmer und wird Richter auf Probe. Tadellos durchläuft er die vorgeschriebenen weiteren Stationen Staatsanwaltschaft und Amtsgericht.

Schnell wird der Vizepräsident des Landgerichts Dr. Walter Baumfalk sein Vorbild. Ulli kommt ins Schwärmen: „Dr. Baumfalk ist der beste Zivil-Jurist, den ich je erlebt habe. Gute Arbeit verlangte er aber auch von anderen.“ Walter Baumfalk sei zielstrebig, freundlich, zugleich neutral gegenüber jedermann gewesen und „vor allem ein ruhiger Zuhörer, der das Wesentliche klar zur Sprache brachte“, erinnert sich Ulli. „Er hatte ein ganz hohes Richter-Ethos.“ Und besonders wichtig: „Schnellschüsse gab es bei ihm nicht.“

Ulli als junger Mann, der immer noch gerne kickt.

Ullis Arbeit geht im Amtsgericht weiter. Hier ist er mit allem befasst, was das pralle Leben zu bieten hat: von Betrugsdelikten über häusliche Gewalt, Insolvenzsachen und Betreuungsverfahren bis hin zu Adoptionsverfahren. Im Strafrecht stößt er immer wieder auf Fälle, die ihm an die Nieren gehen. „Da gab es heftig belastende Situationen.“ Ulli „setzt manches Urteil in die Welt“, das für Aufsehen sorgt. Er räumt mit Naturschutzverstößen und rechtswidrigen Gewohnheiten auf, die sich über Jahre in manchen Branchen bei Unternehmern kostenschonend etabliert haben und richtet mit hohen Geldstrafen plötzliche Rechtstreue an.

Einer von Ulrichs Grundsätzen: „Ich wollte mein Augenmerk auf die Opfer legen und sie und die Gesellschaft schützen. Die Frage war aber immer auch, was wir tun können, damit die Täter nicht erneut straffällig würden und weitere Menschen zu Opfern machten.“

Ein ganzes Erwachsenenleben lang kümmern Helene und er sich um Kinder und Jugendliche – um ihre eigenen drei und immer wieder um Mädchen und Jungen, die sie aus oft prekären Verhältnissen in Pflege nehmen. Ein Pflegekind adoptieren sie.
Erste Kraft und liebevolle Mitte dieser fordernden, anstrengenden und bereichernden Familie ist Helene. Die Volljuristin hat nie eine Arbeit in ihrem Berufsfeld aufgenommen, sondern sich ganz und gern auf die großen Aufgaben ihrer bunten Familie eingelassen. Das sagt Ulrich voll Hochachtung über seine Frau, die zudem den Elternverein APFEL mitgründete und 20 Jahre lang leitete.

Genug Puste für die wichtigen Dinge des Lebens.

Nach Tochter Angelika stellt sich bei Helene und Ulrich zunächst kein weiterer Nachwuchs ein. Sie adoptieren Matthias. Dann kommt 1986 mit Thilko doch noch ein eigenes leibliches Kind. Die Köttings holen den geistig behinderten Harald als Pflegesohn hinzu, später die geistig schwer behinderte Brigitte als Pflegetochter aus einem Kinderheim in der DDR. 1990 bringt Helene Arvid auf die Welt.

Bald bereichert auch Britta die Familie, ihr Bruder Stefan kommt aus seinem Wohnheim zu Besuch und bleibt irgendwann ganz. Aiko findet an der Falkenstraße ebenso ein Zuhause wie die geistig behinderte Vanessa. Wohl alle regelmäßigen Kirchgängerinnen und Kirchgänger von St. Ludgerus Aurich kennen Vanessa. Sie ist fast jeden Sonntag im Gottesdienst und strahlt wie die Sonne, wenn sie messdienen darf.

Alle Kinder, sagt Ulli, haben ihm und Helene viel gegeben. Drei sind noch im Haus, der Jüngste ist 16, die Älteste 36 Jahre alt. „Dieses Zusammenleben mit völlig unterschiedlichen Kindern hat uns geprägt. Ich habe viel gelernt.“ Vor allem gelernt hat er Geduld und die Kunst des Voranschreitens in kleinen Schritten. Kinder mit Behinderung tragen selten Siebenmeilenstiefel. Sie haben ihr eigenes Tempo, das keine künstliche Beschleunigung verträgt. Es sind gerade ihre kleinen, großartigen Erfolge, die glücklich machen.

Warum stellt ein Paar sich so sehr in den Dienst von Kindern? „Wir wollten immer Kinder haben“, sagt Ulli einfach. „Und wir wollten von all dem Guten, das uns gegeben wurde, etwas weiterreichen. Ich habe ein schönes Leben, ich habe eine tolle Frau. Wir beide wollten uns engagieren.“

Das möchte Ulli auch in der Kirchengemeinde St. Ludgerus. Ab Mitte der 1980er-Jahre bis 2018 holt er über den Fahrdienst ältere und gebrechliche Menschen zu den Heiligen Messen an den Georgswall. Er verantwortet als stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstands (KV) alle rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten von St. Ludgerus mit.

Ulrich im Litauenausschuss mit v.l. Steffi Holle, Rita Meyer-Brunken, Pfarrer Johannes Ehrenbrink, Horst Stamm und Alfred Dellwisch.

Ulli, der Malteser und Mitstreiter im Litauenausschuss der Gemeinde, macht sich zudem für die Litauenhilfe stark und fährt beinahe jährlich einen Laster ins Baltikum: jetzt – nicht mehr wie in seiner Studienzeit beladen mit Zeitungen der Welt am Sonntag, sondern – mit dringend benötigten Lebensmitteln für einen anderen Teil der Welt, der wenig Sonntag, mehr erbärmlichen Alltag und ganz viel Gastfreundschaft kennt.

Dieses neue „Universum“ ist ihm völlig fremd. „Ich war noch nie im Baltikum gewesen.“ Schon bei der ersten Erkundungstour 2006 ist er dabei und arbeitet viel mit Heinrich Hahnenkamp zusammen. – Gern begleitet Ulli zudem die Herbstfreizeiten für Jugendliche der Gemeinde. Vanessa ist mehrfach mit dabei. Und Ulli hilft im Anpackerkreis in Fällen aller Art mit seiner Rechtskunde.

Laster-Fahrer Ulrich bespricht sich in Litauen mit den weiteren Fahrern v.l. Didi Hinrichs, Hilmar Wendeling und Horst Stamm.

1991 wird Ulrich politisch. Längst engagiert er sich für die Wählergruppe Grün-Alternative Politik (GAP) im Stadtrat. Ulli freut sich noch heute daran, dass es die stellvertretende KV-Vorsitzende von St. Ludgerus und CDU-Fraktionsvorsitzende Anna Backa war, die ihn, den „grünen“ Politiker als neues KV-Mitglied vorschlug. „Wir haben uns persönlich immer sehr gut verstanden.“

Ulrich Kötting ist ein Mann, der in Familie, Gesellschaft, Politik und Kirche Gutes bewegen möchte. Fassungslos steht der Richter, der immer die Opfer von Verbrechen schützen wollte, vor dem systemischen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche und vor allem vor dem Nicht-Hinsehen-Wollen der Kirche über Jahrzehnte. „Da kommt die Kirche nicht unbeschadet durch.“

Und erschüttert sagt der Richter: „Vertuschen und auch das reine Verschweigen sind Beihilfe zum folgenden Missbrauch.“

Der Mensch sei schwach. Schwäche gebe es selbstredend auch unter Geistlichen. Gegen die Schwäche habe Gott den Menschen Regeln gegeben, ebenso wie die Menschen sich selbst Regeln gegeben hätten. Die zehn Gebote z.B. seien bis heute ein Kodex hoher Güte. Ausgerechnet Geistliche hätten sich auf schändliche Weise dagegen vergangen. „Die Amtskirche ist in einem grausigen Zustand.“

Er geht noch weiter, wenn er sagt, was er in seiner Kirche verwirklicht sehen möchte. „Zuallererst die volle Gleichberechtigung der Frauen. Sie sind für uns in vielem Vorbilder.“ Er wünscht sich, dass Priester sich selbst für oder gegen den Zölibat entscheiden können, und er möchte eine durchgehende Demokratisierung bis hinunter an die Basis. „Die Macht muss von oben nach unten verlagert werden.“ Unten – das ist für Ulli die Ebene der Diözesanbischöfe, „die ihr Ohr nah an den Gemeinden haben und deshalb am ehesten wissen, was in der Kirche vor Ort zu tun ist.“

Uli packt gern auch handfest zu: In dieser Situation half er vor Jahr und Tag Schwester Claudia mit beherztem Griff, ans Kippfenster von St. Ludgerus zu kommen.

Ulli nach einer Rede zu Ehren von Pastor Carl Borromäus Hack in St. Bonifatius Wittmund.

Schon ziemlich bald hat Ulrich Kötting mehr Zeit für seine kirchlichen und sozialen Engagements. Mitte des Jahres ist er Richter außer Diensten. Er wird und will mehr Zeit haben – für seine Familie und für Helene, mit der er sich seit Jahrzehnten gesellig und verlässlich um 5.50 Uhr zum Frühstück und zur Tagesbesprechung trifft. Mittags versammelt sich die Familie zum Essen und nachmittags zum Teetrinken. Er wird Zeit haben für seine beliebten Skat- und Doppelkopfrunden unter anderem mit Pfarrer Johannes Ehrenbrink, den er im Lauf der Jahre immer mehr schätzen gelernt hat.

Und Zeit nehmen wird er sich für ein ganz besonderes Geschenk zum Ende seiner richterlichen Laufbahn. Zusammen mit seinem Bruder Rolf besteigt er seinen 34-Fuß-Segler und schippert für sieben Wochen durch den Nord-Ostsee-Kanal in die Ostsee und dort an der Küstenlinie entlang. „Hoffentlich bis hoch ins nördliche Baltikum“, sagt Ulli.

Ehemann, Vater in einer Großfamilie, engagierter Christ in der Kirche, Umweltfreund, Richter, Politiker, Ehrenamtler in den Werkstätten für behinderte Menschen und in der Lebenshilfe: Ulrich ist ein Schwergewicht. Mitunter pflegt er in Diskussionen seinen Dickschädel und betrachtet die Welt durch die Brille eines Paragraphen-Sachverständigen. „Sinnlose Förmelei“, die er einmal einem Politiker vorwarf, möchte er sich allerdings nicht zuschulden kommen lassen.

Ulli empfindet wertkonservativ und denkt links. Sein Wortschatz ist immens, bildreich und kommt nicht zimperlich daher. Dabei wird er selten unhöflich. Ein Ende seines Tatendrangs ist nicht in Sicht.

Ein neues, aufwendiges Aufgabenfeld hat er längst in Vorbereitung. Wieder wird er mit Menschen in Not den Weg eher kleiner und engagierter Schritte gehen. Ulli arbeitet dran.

Text und Fotos (6): Delia Evers, weitere Fotos: Privatarchiv Familie Kötting

Weitere Links zu Personen, die im Text erwähnt sind
Carl Borromäus Hack
Schwester M. Claudia
Alfred Dellwisch
Steffi Holle
Horst Stamm

Ulli: „Ich habe ein schönes Leben.“