Vom Tannenbaum, der sich aufbäumte

Kein Zweifel: Das ist der schönste Weihnachtsbaum, der je in St. Ludgerus gestanden hat. Er ist der größte, der dichteste, der schwerste und der sperrigste: Nie hat es einen gegeben, der sich derart aufbäumte.

Am Ende waren sieben Männer, zwei lange Leitern und ein „technisches Hilfswerk“ nötig, um ihn akkurat zu platzieren.

Begonnen hatte alles harmlos wie oft in den letzten Jahren. Jemand wollte – passenderweise in Tannenhausen – eine Tanne aus seinem Garten als Weihnachtsbaum verschenken. Einzige Bedingung: Ausbuddeln samt Wurzelwerk. Eine Erstinspektion durch Horst Stamm ergab: Der Baum ist groß, aber nicht viel größer als frühere Gewächse, und mit wunderschön dichten Zweigen bekleidet. Zudem, überlegte Horst, konnte man jeden Baum beliebig kürzen.

So begab sich Mittwoch der Ludgerianus-Baumfäll-Trupp nach Tannenhausen; die einen reisten mit eigenem Wagen an, Horst und Ludgerus-Hausmeister Heiko Beitelmann mit ihrem Trecker. Der sollte mit angespannter Leine dazu beitragen, den Baum zu legen und zu entwurzeln.

Heiko lenkte, der Schlepper zog.

Gruppenbild mit den Noch-Tanneneigentümern, dem Ehepaar Pingel (gemütlich im Fenster lehnend bzw. erfreut linkerhand stehend), desweiteren Hans Lüken, Alfred Dellwisch, Heiko Beitelmann, sodann die Tanne (rechterhand liegend) und Horst Stamm (hinter der Fotokamera stehend).

Didi Hinrichs, der Helfer für Litauen und weitere Wechselfälle des Lebens, hatte einen langen Anhänger zur Verfügung gestellt und seine Arbeitskraft gleich dazu. Alfred Dellwisch verfügte über das Dirigat samt passender Säge und Hans Lüken wie alle anderen über mutwillige Kommentare und einen Haufen Arbeit.

Als sie um den Baum versammelt standen und die schier undurchdringlichen, unteren Zweige kappten, entblätterte sich vor ihren Augen die wahre Größe des Geschenks. Was für eine Bescherung! Der Stamm (nicht Stamm Horst, sondern Stamm Weihnachtsbaum) war von mächtigem Durchmesser.

Noch vor Ort sägten die Männer den Stumpf so zurecht, dass er in den Weihnachtsbaumständer passte. Den hatten sie – kluge Herren! – gleich mitgebracht.

Sie sägten den Stumpf für den Ständer zurecht.

Alles klappte mit der Legeleine wie am Schnürchen. Bald war der Baum verladen, vor die Kirche gefahren und mit Muskelkraft in den Altarraum gewuchtet.

Hier war es nicht zu übersehen: Der Baum war groß, sehr groß, herrlich ausladend, voll gesaugt mit Wasser, daher ungeheuer schwer und eigenwillig. Die Männer scheiterten daran, ihn auf dem Ständer in die Senkrechte zu stämmen.

Irgendwann musste der Trupp einsehen, dass die Tanne ihr ganzes Gewicht in die Waagschale warf, um in der Waagerechten zu verharren.

Die Männer, inzwischen von innen her leicht bis mittelschwer triefend durchnässt, verabredeten sich für den Nachmittag auf einen weiteren Versuch. Didi wollte einen Flaschenzug mitbringen. Schnell hatte Heiko hoch oben im Mauerwerk einen Dübel verbohrt.

Didi und Alfred „sortierten“ den Flaschenzug.

Didi schraubte beim Trupp-Wiedersehen am Nachmittag den Haken ein, legte den Flaschenzug an, und auf ging’s mit dem Baum. Der war inzwischen froh, aus der unbequemen Lage in die Senkrechte zu kommen, und gondelte erfreut mit weit ausholender Krone in alle Richtungen.

Nur eine war nicht dabei: die richtige. Die Männer hatten sich zwischenzeitlich vermehrt durch zwei Väter von Erstkommunionkindern. Sie bastelten mit ihren Familien im Bonihaus gerade Sterne. Selbst bis dorthin hatte sich die Kunde vom sperrigen Baum verbreitet. Flugs hatten die beiden Väter Oliver und Manuel selbstlos die geliebte Arbeit mit buntem Seidenpapier aus den Händen gelegt und waren der Mannschaft in der Kirche zur Hilfe geeilt.

Nun schoben sie mit harz-duftigen Händen eine lange Leiter zwischen die Zweige der tanzenden Tanne und übernahmen die Führung. Plötzlich stand der Baum. Er sah mächtig vornehm aus. Die Gesichter der Männer leuchteten wie Christbaumkugeln im Kerzenlicht. Nur hingen noch keine.

Und nun hoch mit dem guten Stück: Oliver, Manuel, Hans und Heiko hievten.

Alles klar, jedenfalls theoretisch. Nach rechts oben musste die Baumspitze. Didi (ganz rechts hinterm Baum) betätigte den Flaschenzug, Horst peilte, die anderen führten.

Baumflüsterer Heiko an der senkrecht stehenden Tanne.

Dann geschah eine winzige Unachtsamkeit, und schon rutschte der Baum mit rauschendem Tannenzweiggetöse quer durch den Chorraum und klatschte zurück auf den Boden. Die Tannenbaumspitze erwischte das Sakristeiglöckchen. Das bimmelte hektisch und empört – und läutete das Ende der Spitze ein. Es knarzte, krachte, und die Spitze war auf Meterlänge gebrochen.

Im Kirchenrund herrschte mit einem Mal absolute Stille. Versammeltes Schweigen. Selbst der Baum war betroffen.

Kollektive Erkenntnis: nach dem Fall ist vor dem Fall. Die Männerherzen erstarkten („das wäre ja gelacht“), und viel zielstrebiger als zuvor (Mann hatte inzwischen Übung) gingen die Griffe von der Hand.

Und jetzt kräftig gegengeschoben.

Und noch eine Stufe höher (anders ging’s nicht).

Allgemeines Raunen und Staunen. Die Senkrechte war erreicht.

Doch zuvor hatte der pfiffige Heiko, im früheren Arbeitsleben in der Ubbo-Emmius-Klinik beschäftigt, eine Holzschiene mit Haltenägeln gebastelt, um die gebrochene Spitze wieder mit dem Restbaum zu vereinen.

Die Operation gelang tadelos.

(Professor Brinkmann von der Schwarztannenklinik hätte seine helle Freude gehabt.)

Und dann stand der Baum, gesichert durch ein dickes Band am verdübelten Haken.

Schnell waren vor dem Kreuz noch ein paar Zweige gekappt, um die Sicht freier zu gestalten. Dann wurde aufgeräumt.

So hat St. Ludgerus nun eine herrliche Tanne.

Freuen wir uns an ihrer Schönheit und der Hartnäckigkeit des Trupps! Denn eines ist klar: So ein Abenteuer erleben Weihnachtsbäume und Weihnachtsbaumaufstellmänner nur einmal im Leben.

Text und Fotos (8): Delia Evers, weitere Fotos (2) Horst Stamm, (1) Alfred Dellwisch

Die Helfer vor Ort: von links Manuel mit Talina, Oliver mit Lorin, Schwester Claudia (sie hatte den Himmel zwischendurch mehrfach mit Stoßgebeten versorgt), Didi, Janusz, Alfred, Hans, Henry, Horst und Heiko. Die drei älteren Kinder hatten zum Schluss kräftig mit aufgeräumt.