2014-08-17 Stadtfest Aurich

Aurich als große Familie

Von Delia Evers | Stadtfest mündete in einen ökumenischen Gottesdienst

Um kurz vor 11 Uhr hasten noch ein paar Menschen Richtung Lambertikirche. Sie umschiffen Arbeiter der Stadt, die mit Laubbläsern den Unrat der Nacht auf Haufen pusten. Der feine Grausplitt des „Bürgersteigs“ am Georgswall ist gepflastert mit Kronkorken und erzählt ein Stück Stadtfestgeschichte. Zu trinken gab’s. Toll war’s. Und voll.

Voll ist auch die Lambertikirche am Sonntagmorgen. Hier feiern die christlichen Gemeinden der Stadt ihren ökumenischen Abschlussgottesdienst. Die Gospelchöre von Lamberti und Wallinghausen locken: „Kommt in Gottes Gegenwart!“ In dieser Gegenwart heißt Superintendent Tido Janssen die Gäste willkommen.

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Gläubige aller christlichen Konfessionen kamen Sonntag zusammen.

„Ich freue mich, dass es regnet“, sagt er mutwillig und schlussfolgert, „denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Im linken Kirchenschiff stellt Josef Antony, mit allen Wassern der Wissenschaftstage gewaschen, lächelnd fest: „Das nennt man Logik.“

Und da sind die Gläubigen mitten drin im Thema „Freunde suchst du, Familie has(s)t du.“ Nicht nur das Wetter wettert unberechenbar. Auch Familien warten mit der gesamten Palette des Himmels auf: geben sich sonnig bis bewölkt, heiter bis stürmisch, arbeiten mit Donner und Blitz. Eitel Friede ist nirgendwo immer.

Tido Janssen kann dennoch dafür danken, dass wir uns in Aurich im Frieden versammeln dürfen und wir anders als an anderen Orten der Welt keine Verfolgung leiden. Der Superintendent betet: „Wir danken dir für diese Stadt.“

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Pfarrer Johannes Ehrenbrink und Steffi Holle am Ambo.

Pfarrer Johannes Ehrenbrink von unserer St.-Ludgerus-Gemeinde trägt die Lesung vor – jene, die auf viele Menschen so befremdlich wirkt. Jesus lehrt in einem Haus. Seine Mutter und seine Brüder kommen und wollen Jesus sehen. Der wagt es, seiner Mutter eine Abfuhr zu erteilen. Er bleibt, wo er ist, blickt auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsitzen, und sagt: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. – Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

Jesu Freunde zogen mit ihm durch das Land, hatten alles verlassen, um bei ihm zu sein. Johannes Ehrenbrink: „Jesus bricht den Familienbegriff auf, weitet ihn aus auf die hin, die gleiche Überzeugung, gleiche Werte, gleiche Visionen mit ihm teilen.“

Steffi Holle, zusammen mit Johannes am Ambo, überlegt: „Das ist ja interessant! Familie ist, wenn ich gleiche Wünsche, Vorstellungen, Visionen habe, wenn ich mit anderen etwas bewegen und erreichen will. Dann könnten wir ja unsere Stadt Aurich wie eine große Familie verstehen.“

Dann seien die verschiedenen Gruppen die Familienmitglieder, und die Frage laute: „Hast du diese Familie oder hasst du sie?“  Und beantwortet werden müsse die Frage: „Was können wir tun, damit wir unsere Stadt auf keinen Fall hassen, sondern lieben?“

Die beiden, Steffi und Johannes, verwandeln den Raum an den Altarstufen kurzerhand in ein Beratungsbüro der Caritas. Nach und nach treten Menschen vor, schildern das, was sie bewegt: Freude an den Einrichtungen und Angeboten der Stadt, Ärger über genau diese Einrichtungen und Angebote, Angst und Armut, Krankheit und Verzweiflung.

Da ist z.B. Herr Pottberg (Uli Kötting), der fünf Kinder hat (in Wirklichkeit hat er ein paar mehr), von denen zwei auf Klassenfahrt gehen möchten; über 500 Euro braucht der Vater dafür. Woher soll er sie nehmen? Er weiß es nicht. Und dann bricht es aus ihm heraus: „Kaufen Sie mal für fünf Kinder Wintersachen. Das ist die Hölle. Es ist ätzend, dass der Georgswall für teures Geld umgebaut wird, aber für uns machen sie nichts. Das größte Problem ist die Miete. Hier in der Stadt ist es zu teuer. Wir mussten aufs Land ziehen. Aber da brauchen wir ein zweites Auto. Manchmal kann ich nicht mehr schlafen vor Sorgen. Aurich ist nichts für arme Schlucker.“

Fest2-IMG_1465Johannes (Bild, zusammen mit Sr. Magdalena) fasst zusammen: „Wie in jeder Familie ist in Aurich vieles schön und lebens- und liebenswert und muss bestärkt werden, und es gibt Dinge, die verändert und verbessert werden müssen.“

Und weiter: „Wenn es uns in Aurich gelingt, die Menschen in ihren eigenen Situationen wahrzunehmen, wenn wir ihre Probleme und Nöte sehen, wenn wir keinem Größenwahn erliegen, wenn wir gerade den Schwächeren besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen, wenn wir aber auch die Not außerhalb unserer Stadt und unseres Landes an uns heranlassen, wenn wir so die Lebensweise der Familie Jesu wenigstens ansatzweise in unserer „Familie“ Aurich zu leben versuchen, dann ist das gut für die Menschen und es gibt keinen Grund, diese Familie zu hassen. Dann dürfen wir auch ein wenig stolz und dankbar sein, dass wir diese Familie haben und in ihr leben.“

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Die Gospelchöre von Lamberti und Wallinghausen bereichern den Gottesdienst ebenso wie der Posaunenchor auf der Empore – für die Gläubigen nicht zu sehen, nur zu hören.

Bald nach der Predigt stimmt der Posaunenchor das Lied an „Großer Gott, wir loben dich“ – mit sehr, sehr vielen Strophen, damit vor den Fürbitten viel Geld für den Eine-Welt-Laden und Subito gesammelt werden kann.

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Kollekte vor den Fürbitten – Beate Eggers reicht den Klingelbeutel mit Schwung in die Reihen.

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Die Fürbittsprecher; am Ambo „Herr Pottberg“; rechts neben Johannes Ehrenbrink Superintendent Tido Janssen.

Die Fürbitten kreisen um Familie und Freundschaft, Streit und Versöhnung, Gewalt und Frieden, um die Heimatstadt Aurich und die Krisenherde der Welt.

Die Bitten münden ins Vaterunser, in einen Dank an „Johannes und seine ‚Familie'“ und in den Schlusssegen.

Draußen warten die Männer von der Koch- und Klönrunde mit leckeren Würstchen und Mitglieder der Backgruppe, die köstliches Rosinenbrot und Tee anbieten. Mitarbeiter des Bauhofs haben ganze Arbeit geleistet, um den Vorplatz mit Tischen, Bänken und Schirmen einladend zu gestalten. Da sitzen und stehen die Gottesdienstbesucher, mampfend, trinkend, plaudernd und feiern ihre Familie.

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Nach dem Gottesdienst gehts hoffnungsfroh nach draußen. Es ist trocken!

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Muntere Gespräche und angenehmes Verweilen vor Lamberti.

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Und fürs sachgerechte Teetrinken widmet Marlies Weinmann (Mitte) kurzerhand eine niedrige Weglaterne zum Tisch um.