2020-03-29 | Der Tod war einsam – die Trauer ist es auch
Alles kann in Deutschland noch schlimmer kommen. Wir hören es seit Tagen. Zustände wie in Italien wollen wir nicht. Aber was haben wir noch in der Hand? Niemand hat eine einfache Antwort.
Antworten, die „von der Not diktiert“ werden, sträuben grundsätzlich meine Nackenhaare. In Italien werden Menschen, weil sie betagt sind, von lebenserhaltenden Beatmungsgeräten genommen, um jüngeren Platz und Leben zu geben.
Was hat die Höhe des Alters mit der Frage nach dem Lebenswert zu tun? Nichts!
In allen Gesellschaften bewegen Hochbetagte viel. Die Bibel ist in beiden Testamenten voll von solchen Geschichten. Aus dem alten Abram wurde Abraham, aus der alten Sarai die Mutter Sara mit Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel. Bei Jesus gab es Heilung für alle: für Aussätzige (die Infizierten von damals) und Besessene, für Blinde und Lahme, für Taube und Sprachlose, für Ehebrecherinnen und Nutten, für Zöllner und Samariterinnen – auch für Lazarus, den Verstorbenen aus dem aktuellen Sonntags-Evangelium.
Kurzum: Heilung für die ganze bunte Gesellschaft fehlbarer Menschen von damals und heute. Bei Matthäus heißt es: „Und Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in den Synagogen, predigte das Evangelium und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk.“
Eine sozial-romantische Hoffnungs-Geschichte aus alter Zeit? Heute fluten Zehntausende von Menschen schwerstkrank die Hospitäler der Welt. Beatmungskapazität fehlt. Medizinisches Personal ist überwältigt von Anstrengung und teils selbst infiziert. Viele Helferinnen und Helfer, auch Seelsorgerinnen und Seelsorger, sind gestorben. Wo ist der Retter, der „alle Krankheiten und alle Gebrechen heilt“?
ER bleibt unsere Hoffnung und bleibt in Sicht, wenn wir weiterhin unterschiedslos handeln. Dann gilt kein: reiches gegen armes Leben, fremdes gegen vertrautes oder altes gegen junges Leben.
Wir brauchen die Jungen. Und wir brauchen die Alten. Es sind die Alten, die die Zeit in seiner schönen und schrecklichen Breite durchlaufen haben. Diese Erfahrung geben sie auf ihre Weise weiter. Manchmal tun sie dies mit Urteilskraft oder starkem Zeugnis (denken wir an die Holocaust-Überlebenden). Manchmal kommen sie mit leiser Weisheit daher, und manchmal legen sie im Streit ihre Hand auf einen Arm, lächeln altersmilde und verzeihen.
Wenn Entscheidungen um Leben und Tod nötig werden (wie schon in Italien und Spanien), müssen andere Kriterien herhalten, z.B. medizinische Gründe, wie die Aussichtslosigkeit einer Behandlung, und der Patientenwille. In den genannten Ländern sind Tausende von Menschen gestorben, umringt von schierer Hektik und Verzweiflung, unter Apparaten und ohne Begleitung ihrer Liebsten. Kein letzter Händedruck, kein letzter Blick, kein letztes Wort.
Haben sie so sterben wollen? Von heute auf morgen aus den Augen und dann gleich ohne „richtige“ Bestattung unter die Erde gebracht? Ein Hinterbliebener sagte im Fernsehen: „Der Tod war einsam. Die Trauer ist es auch.“ Einige Verstorbene, so meinen Patientenschützer und Ärzte, wären in palliativ-medizinischer Versorgung daheim würdiger aufgehoben gewesen. Ganz nebenbei hätten sie dort keine Ansteckungsgefahr für das gerade jetzt bitter notwendige medizinische Personal bedeutet.
Der Staat selbst darf nicht über Leben und Tod entscheiden. Für ihn ist die Würde des Menschen unantastbar. Er darf Überlebenschancen und Sterberisiken nicht nach „Wert“ oder Dauer eines Lebens bemessen. Einen Weg zu finden, wird wohl schwerstbelastende Aufgabe der Mediziner bleiben. Sie sind längst in ethische Überlegungen eingestiegen. Ich bin froh zu lesen, dass das Alter für sie kein Kriterium ist.
Unser christliches Menschenbild gilt: Jeder Mensch ist gleich gültiges Ebenbild Gottes,
sagt herzlich eure
Turmflüsterin