Fronleichnam | Die Aussetzung des Allerheiligsten

Seit 750 Jahren passiert am zweiten Donnerstag nach Pfingsten etwas Außergewöhnliches. An diesem Tag tragen die katholischen Gläubigen ihr Allerheiligstes auf die Straße. Sie feiern unter freiem Himmel das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“, das „letzte Abendmahl“. Indem sie es außerhalb der Kirchenmauern tun, demonstrieren sie für ihren Glauben und seine Kernaussage, dass Christus bei jeder heiligen Messe in der Gestalt von Brot und Wein anwesend ist.

Das Fronleichnamsfest ist erstmals 1246 in Lüttich auf Grund einer Vision der Lütticher Nonne Juliana gefeiert worden. Fast 20 Jahre später, am 11. August 1264, führte Papst Urban IV. durch die Bulle „Transiturus“ das Fronleichnamsfest für die Weltkirche ein. Eine erste Prozession zog 1277 durch Köln. 1317 bestimmte Papst Johannes XXII. den Tag nach der Oktav des Pfingstfestes für das Fronleichnamsfest. Den Donnerstag als Festtermin sah er in Verbindung mit dem Gründonnerstag: mit der Einsetzung der Eucharistie durch Jesus Christus beim letzten Abendmahl; der Gründonnerstag in der Karwoche konnte ein stiller Feiertag bleiben, während Fronleichnam zum freudigen Anbetungstag wurde.

Nach der Messe wird die Hostie hoch erhoben zu den Altären unter freiem Himmel getragen. Sie befindet sich in einer Monstranz, einem Gefäß zum „Zeigen“ des Allerheiligsten. Nach den Fürbitten an den Altären erteilt der Priester seinen Segen.

Seit dem Konzil von Trient wird in der katholischen Kirche die Fronleichnamsprozession auch als Demonstration für den Glauben verstanden. Von Wallfahrten abgesehen, handelt es sich um die größte jährlich wiederkehrende Demonstration der Katholiken.

Es überrascht nicht, dass Fronleichnamsprozessionen in gottlosen Staatssystemen verboten sind. Ausgerechnet die Nazis wagten sich an ein Verbot zunächst nicht heran. Als am 17. Mai 1940 der Oberpräsident der Rheinprovinz die bevorstehenden Fronleichnamsprozessionen untersagte, hatte er einen anderen, triftigen Grund: Es herrschte Krieg, und wegen der Bombardierungsgefahr wurden sämtliche Umzüge untersagt.

Einen intensiven Zugang zu Fronleichnam eröffnet auch der folgende Text, der 2004 im Kevelaerer Blatt erschien:

An Fronleichnam setzen wir den Leib des Herrn aus, öffentlich, für alle sichtbar, in einer festlichen Prozession. Fronleichnam – die öffentliche Aussetzung des Leibes Christi.

Was tun wir da?

Man könnte sagen: Wir demonstrieren unseren Glauben ganz öffentlich; wir setzen uns und unseren Glauben der Öffentlichkeit aus. Das geschieht sicherlich auch. Aber dahinter steht zuerst eine ganz andere Aussetzung: Es ist Gott, der sich aussetzt. Gott setzt sich uns Menschen aus: Gott setzt sich uns aus in seinem Sohn, der Mensch geworden ist, in unsere Alltäglichkeit mit ihren Bedürfnissen, mit großen und kleinen Hoffnungen, mit unseren Leistungen und Fehlern. Er setzt sich am Kreuz der Sünde aus, die die Liebe nicht erträgt, die jedes Leben raubt. Gott setzt sich uns aus, indem er den Heiligen Geist sendet in unser Herz, in unser Innerstes; er ist uns näher, als wir uns selber nahe sind.

Ein solcher Gott, der sich aussetzt, der mit den Menschen ist und in den Menschen ist, der ist nicht selbstverständlich.

Viel lieber ist vielen ein weit entfernter Gott als das absolute Eine, das mit der Vielfalt, dem Werden und Vergehen unseres Lebens nichts zu tun hat, schon gar nicht mit unserer Schuld. Ein Gott der Zurückhaltung bewahrt, der sich nicht aussetzt.
Da wird es dann belächelt oder einfach übertrieben und komisch gefunden, dass Menschen hinter einer kleinen Scheibe Brot herlaufen, es besingen und verehren als Sakrament der Nähe Gottes. Man traut Gott solche Weltlichkeit, solche Alltäglichkeit nicht zu. Ein so sehr weltlicher Gott ist irgendwie peinlich; das geht zu nah, zu weit, ist zu direkt.

Vielleicht steht uns heute ein ferner Gott doch näher als ein Gott, der in unser Fleisch kommt, der hautnah wird, der sich in die inneren Angelegenheiten unserer Welt einmischt?