Fünf Auricher Persönlichkeiten und eine Wassermühle
Bei tropischer Hitze von 34°C machten sich die Klüngeltüngels auf den Weg, um -unter der fachmännischen Leitung von Manfred Albrecht- fünf Auricher Persönlichkeiten und eine Wassermühle kennen zu lernen.
Wie bekannt wurde, wurden im Vorfeld Wetten abgeschlossen, wer wohl an dem Stadtspaziergang teilnehmen und wer sich diese Strapaze bei den herrschenden Temperaturen ersparen würde. Denn anschließend wurde im Bonihaus gegrillt und nur dafür musste man sich anmelden. Allen Unkenrufen zum Trotz war die Mehrzahl der Teilnehmer so interessiert (Klüngeltüngels eben), dass sie sich den Spaziergang nicht entgehen ließen.
Vom Bonihaus ging es zur Osterstraße 27, dem Geburtshaus von Prof. Dr. Rudolf EUCKEN (* 1846 in Aurich; † 1926 in Jena). 1871 wurde er als ordentlicher Professor an die Universität Basel berufen. 1874 wechselte Eucken an die Universität Jena. In Jena blieb er über seine Emeritierung 1920 hinaus bis zu seinem Lebensende wohnhaft. Er erhielt 1908 den Nobelpreis für Literatur „auf Grund des ernsten Suchens nach Wahrheit, der durchdringenden Gedankenkraft und des Weitblicks, der Wärme und Kraft der Darstellung, womit er in zahlreichen Arbeiten eine ideale Weltanschauung vertreten und entwickelt hat“, wie es zur Begründung hieß.
Über die Marktstraße zogen sie weiter zum Marktplatz. Auf der Marktstraße wurde ein kurzer Zwischenstopp eingelegt, um ihnen die baulichen Veränderungen seit den 1950er-Jahren vor Augen zu führen. Bis Mitte der 50er-Jahre stand dort ein mehrstöckiges Gebäude mit einer elektrisch angetriebenen Getreidemühle der Bäckerei Meyer aus der Mitte der 1920er-Jahre. Ein gewaltiger Sprung in neue Technologien, denn erst ab 1924 wurde Aurich mit elektrischem Strom versorgt.
Am Gebäude der Volksbank, Marktplatz 24, ist eine Gedenktafel für Dr. jur. Tileman Dothias WIARDA (* 1746 in Emden; † 1826 in Aurich). Er war der juristische Vertreter der Stände und Geschichtsschreiber. Wiarda war schriftstellerisch sehr produktiv und arbeitete sich wohl durch zahllose ihm zur Verfügung stehende Akten. Er schrieb bis ins hohe Alter und starb 1826 in dem Vorgängerbau der Volksbank am Marktplatz, der für viele Jahrzehnte sein zu Hause war.
Folgende Betrachtung hat er vor 200 Jahren angestellt, die für viele der Älteren heute den eigenen Gedanken sehr nahe kommt:
Zeitenwandel
„Da sitz ich nun einsam in meinem Arbeits-Sessel und laß die Tage meiner Kindheit, meiner Jugend, meines männlichen Alters und meines greisen Alters in meinem Gedächtnis vorüber gehen.
Welche große Veränderungen in unserer Lebens Art, Gebräuchen, Sitten und Gewohnheiten schweben hier meinen Augen vor. Je weiter wir nach Geschichte, Büchern und Nachrichten in die Zeiten unserer Eltern und dann deren Vorfahren zurückschauen, desto größer und tiefer ist die Kluft zwischen ihren Sitten und Gewohnheiten zu den unsrigen.
Gewöhnlich klagt man, dass die Welt im Argen liegt, und sich von Zeit zu Zeit verschlimmert. […] Sind aber wohl die lauten Klagen über die von Zeit zu Zeiten sich verschlimmernden Sitten und Gebräuche immer und auch im Allgemeinen gerecht?
Ich glaube nicht, denn auch zum Besten der Menschheit hat sich vieles, sehr vieles verbessert.“
Der weitere Weg führte die Klüngeltüngels am Fuße des „Hohen Walls“ entlang des alten Stadtgrabens zum Gedenkstein für den ehemaligen Berliner Bürgermeisters Prof. Dr. Ernst REUTER (*1889 in Apenrade; † 1953 in West-Berlin). Der Gedenkstein für Ernst Reuter steht – nicht von ungefähr – gegenüber dem Gymnasium Ulricianum, an dem sein Großvater Wilhelm REUTER (*1803 in Hildesheim; † 1881 in Aurich) vierzig Jahre, seit 1845 als Rektor, unterrichtete.
Ernst Reuter wurde 1947 zum Oberbürgermeister von Berlin gewählt. Seine Wahl durch die Berliner Stadtverordnetenversammlung erkannte die sowjetische Besatzungsmacht nicht an. Während der sowjetischen Blockade West-Berlins (1948/49), in der die Westsektoren der Stadt über eine Luftbrücke versorgt wurden, stieg Reuter zum international bekannten Repräsentanten Berlins auf. Nach der Spaltung der Stadt übte er sein Amt als Regierender Bürgermeister nur in den Westsektoren aus.
Die nächste Station des Stadtspaziergangs war die „Burgapotheke“, Burgstraße 53, dem Standort der vormaligen Wassermühle. Sie haben richtig gelesen: „Wassermühle“, und das in Ostfriesland, dem Land der Windmühlen? Das kann doch nur eine „Fake News“ sein. Und doch, im 15./16. Jh. gab es in Aurich eine Wassermühle – kurz vor Einmündung des Stadtgrabens in den Burggraben. Der Stadt- und der Burggraben wurden von den ausgedehnten Mooren im Norden und Osten der Stadt gespeist. Der Hauptstrom kam aus Richtung „Ewiges Meer“ über die heute sog. „Tannenhausener Ehe“, die über eine Brücke! über die „Sandhorster Ehe“ geleitet wurde. Der Speisegraben führte entlang der heutigen Esenser Straße bis zum Stadtgraben am Nordertor. Von Osten kam der zweite Zufluss vom Düvelsmeer, das an der Straße nach Friedeburg lag.
Noch im 16. Jh. muss genügend Wasser vorhanden und die Fließgeschwindigkeit zum Betrieb der Wassermühle ausreichend gewesen sein. Wahrscheinlich wegen schlechter gewordener Wasserverhältnisse wurde der Betrieb jedoch spätestens 1578 eingestellt. Heute sind von der Wassermühle und dem Mühlgraben keine Spuren mehr vorhanden. Der Mühlstein am Beginn der Burgstraße – der weitaus jünger ist – erinnert an die „Auricher Wassermühle“.
Jetzt ging es in Richtung Innenstadt bis zur Burgstraße 42, dem Geburtshaus von Prof. Dr. med. Johann Friedrich Christian DÜFFER (*1775 in Aurich; † 1831 in Halle). Der pharmazeutische Unterricht an der Universität Halle fand, wie auch an anderen deutschen Universitäten, zuerst an der Medizinischen Fakultät statt und wurde fast ausnahmslos von Medizinstudenten gehört. Eine Schlüsselstellung für die Etablierung der Pharmazie hatte das Wirken Düffers. Er wurde 1817 zum Ordinarius für Pharmakologie und Pharmazie ernannt und hat diese Fächer an der Universität Halle ab 1805 gelehrt. Damit ist erstmals ein Lehrauftrag für Pharmazie an einer Hochschule festgeschrieben worden.
Der Rückweg führte dann durch die Hafenstraße. Am Geburtshaus von Prof. Dr. Rudolf von JHERING (*1818 in Aurich; † 1892 in Göttingen), Hafenstraße 12, ist eine Gedenktafel für den großen Rechtsgelehrten angebracht.
Von Jhering studierte in Heidelberg, Göttingen, München und ab 1838 in Berlin, wo er 1842 auch promoviert wurde und sich ein Jahr später habilitierte. Nach Professuren in Basel, Rostock, Kiel und Gießen kam er 1868 nach Wien. In Wien verlieh ihm der österreichische Kaiser den erblichen Adel. Dort hielt er 1872 den auch international wohl berühmtesten Vortrag in der Geschichte der Jurisprudenz: „Der Kampf ums Recht“, der in zwei Jahren zwölf Auflagen erlebte und in 26 Sprachen übersetzt wurde, wird bis heute an ganz verschiedenen Ecken der Welt in immer neuen Übersetzungen aufgelegt (Seoul 1977, 2. Auflage 1991; Tbilisi 2000; Bogotá 2007; Deutschland 2003, 8. Auflage).
1872 nahm er einen Ruf nach Göttingen an. Dort blieb er bis zu seinem Tode im Jahr 1892. Zu guter Letzt eine goldene Regel des Professors der Rechtswissenschaft, die allerdings selten beherzigt wird:
„Der Gesetzgeber soll denken wie ein Philosoph, aber reden wie ein Bauer.“
Bei der Rückkehr ins Bonihaus dampften nicht nur die Köpfe, sondern auch schon der Grill, und die Vorbereitung der „Daheimgebliebenen“ war soweit gediehen, dass zeitnah damit begonnen werden konnte, den beim Laufen erworbenen Hunger zu stillen. Es gab natürlich wie immer viel zu erzählen und die Zeit verging wie im Flug.
Text: Manfred Albrecht und Elisabeth Funke
Fotos: Elisabeth Funke