Emder Gästeführer nennt Auricher Hafen „eine Badewanne“

2016-08-20 Klüngeltüngels4_1Von Delia Evers | In Emden gibt es keine Grachten. Dennoch schipperten die Klüngeltüngels bei einer Grachtenfahrt über die Wasserstraßen der Seehafenstadt. „Grachtenfahrt“ stand zumindest auf ihren Billets…

… als die Klüngeltüngels zusammen mit rund 65 weiteren Gästen am Emder Ratsdelft in ein flunderflaches Boot kletterten. Unterwegs erklärte ihr sachkundiger Bord-Führer, dass schmale, künstliche Wasserstraßen nur in niederländischen und flämischen Städten Grachten genannt werden. In Ostfriesland heißen sie Kanal, Graben oder Tief.

Los gings vor beeindruckender Kulisse. Am selben Wochenende tobte am alten Binnenhafen ein großes Volksfest mit Drachenbootrennen. Der Dreimaster Heureka räkelte sich in den Himmel und brauchte die unmittelbare Konkurrenz der noch größeren und edleren Sedov nicht zu scheuen (die ankerte im Außenhafen). Die Klüngeltüngels hatten viel zu gucken und zu staunen – im Hafen und vor allem unterwegs.

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Die Heureka – unten rechts davor die flache Flunder.

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Die Besatzungen von Drachenbooten trugen Wettkämpfe aus.

Das Hafenbecken ist eingebettet in rund 150 Kilometer künstliche und natürliche Wasserläufe, die sich durch Emden ziehen. Einen zentralen Punkt lernten die Klüngeltüngels intensiv kennen: die Kesselschleuse mitten im Bereich der ehemaligen Wall- und Wehranlagen. Sie ist die einzige Rundkammerschleuse Europas, die vier Wasserstraßen mit vier unterschiedlichen Pegelständen verbindet. Der Gästeführer feierte sie als einzigartiges Bauwerk.

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Einige Klüngeltüngels samt Ausflugsboot in der Kesselschleuse.

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Und noch mehr Klüngeltüngels auf der buchstäblich letzten Bank.

Zwar war der Schleusenwärter noch in der Mittagsruhe, und die Touris mussten sich gedulden, doch das gab dem Gästeführer Gelegenheit, in hohem Redetempo und ebenso hohem Redegehalt von seiner Heimatstadt zu schwärmen: vom Wachsen der Ansiedlung ab dem 8. Jahrhundert, dem immer schon bedeutenden Seehafen und dem Krach mit der Hanse. Die Emder unterstützten zum Leidwesen anderer Handelsstädte Seeräuber Klaus Störtebeker. Das kam nicht gut an.

Nahtlos gelang dem bestens aufgelegten Gästeführer der Sprung von Störtebeker zu den Seepocken an den Wänden der Kesselschleuse, die als Rankenfüßler zur Gruppe der Krebse gehören, sich irgendwann für immer irgendwo festmachen und dafür einen Kleber entwickeln, der seinesgleichen sucht. Schon wechselte der Mann zu den Weltmeeren, auf denen Riesenkähne von tonnenschweren Seepockenanhaftungen ausgebremst werden.

Endlich nahm an der Schleuse – nicht der Wärter, sondern – der Knecht die Arbeit auf. In erstaunlicher Geschwindigkeit passte sich der Wasserspiegel an, und der Weiterfahrt stand nichts mehr im Weg. Seepocken an den Wänden gabs fürderhin auch keine: Die Tierchen mögen nur Süßwasser; Salzwasser gab es tief im Stadtinneren nicht.

Der Gästeführer berichtete von den vielen Tausend Pfählen, auf denen etliche Bauwerke im feuchtgrundigen Emden thronen. Ein großer Teil der Stadt liegt auf einer rund neun Meter hohen Warft, die im Mittelalter von Hand angelegt worden ist (mit 15 Metern ist nur eine andere „Warft“ höher: die Mülldeponie).

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Unterwegs gabs immer wieder Begegnungen mit anderen Wasserfahrzeugen.

Sacht glitt das Boot weiter durch den ehemaligen Wehrgraben und die älteste Grünanlage der Stadt: den Emder Wall. Er half der sehr reichen Stadt ab dem 17. Jahrhundert, begehrliche Räuber fernzuhalten. Dazu dienten elf Zwinger. Das sind fünfeckige Bastionen, die sich halb um die Stadt legen. Später bauten die Emder Windmühlen obendrauf.

Der Gästeführer berichtete von den Religionen in Emden. Die Stadt ist heute überwiegend protestantisch. Im 16. Jahrhundert hatte sie protestantisch-calvinistische Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden aufgenommen und zählte neben Genf und Wittenberg zu den wichtigsten Stätten der Reformation.

Das veranlasste den „Rat der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ 2013, Emden den Titel „Reformationsstadt Europas“ zu verleihen – als erstem Ort auf dem Kontinent.

Über Jahrhunderte hatten es Katholiken nicht leicht in der Stadt. Erst 1803 wurde wieder eine katholische Kirche gebaut.

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Die Unseren sind wieder an Land und stellen sich zum Gruppenbild auf.

Die Touris näherten sich dem Ratsdelft – und mancher dachte an eine Begegnung der besonderen Art auf einem der Kanäle zurück. Plötzlich hatte es laut getutet. Hinter einer Biegung tauchte die MS Stadt Aurich auf. Sie war über den Ems-Jade-Kanal eingeschippert. Der Gästeführer unserer Flunder zeigte sich wenig erbaut, denn die Wasserstraße, auf der sich nun beide Schiffe begegneten, war schmal.

Irgendwie schipperten sie aneinander vorbei. Der Gästeführer kam nicht umhin, den Aurichern Bescheid zu geben: MS Stadt Aurich? Vonwegen! Was die Auricher großspurig Hafen nennten, das sei kein Hafen: „Das ist eine Badewanne.“

Vielleicht stechen die Klüngeltüngels ja mal mit der MS Stadt Aurich in See, Abfahrt: Anleger an der Badewanne.

:-) Ein ganz herzliches Dankeschön mit vielen guten Gedanken ging an das Orgateam Hildegard Lüken und Elisabeth Funke, die beide an diesem schönen Ausflug nicht hatten teilnehmen können.