Gassenhauer zeigen ein Stück menschlichen Lebens
Die Theaterfamilie Gassenhauer wiederholt ihr Stück über Demenz „Wenn du verschwindest“. Fällt ihr nichts Neues ein? Doch, bestimmt! Aber jetzt muss es Samstag, 14. September, 20 Uhr, noch einmal dieses Stück sein…
… das 2018 weit über 1000 Menschen tief unter die Haut ging. Immer wieder wurden die Gassenhauer nach den beiden ersten und einzigen Aufführungen angesprochen: „Bitte, zeigt das Stück noch einmal!“ Wildfremde Menschen hielten Theaterfamilien-Mitglieder auf der Straße an: „Sie sind doch ein Gassenhauer. Ich wollte mal eben sagen, wie sehr mich Ihr Stück beeindruckt hat. Das würde ich mir jederzeit noch einmal ansehen.“ Monatelang gab es solche „Ansagen“. Dann war klar: Eine Neuauflage muss her.
Sie ist am Samstag zu sehen. Jetzt heißt es: Gespannt sein und zur Aufführung kommen, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Kegelgeschwister und andere Menschenarten an den Arm nehmen, die Stadthalle stürmen, pardon: füllen und dieses Stück über Demenz erleben.
Es heißt „Wenn du verschwindest“ – und zeigt genau das: Wie der Geist dementer Menschen nach und nach verschwindet. Andere Größen greifen Raum: Unsicherheit, Verzweiflung, Angst und Einsamkeit. All das bringen die Gassenhauer auf die Bühne. Sie zeigen, wie die Krankheit sich in alle Lebensbereiche von Patienten, Familien, Freunden und Pflegenden hineinschleicht.
Der Eintritt ist frei (gern darf nach der Vorstellung gespendet werden).
Alle Interessenten, egal, ob sie das Stück bereits gesehen haben oder nicht, sind eingeladen, sich erneut oder neu von den Mitgliedern des sozio-kulturellen Projekts der Theaterfamilie Gassenhauer berühren zu lassen. Viele von ihnen haben selbst seelische und körperliche Verletzungen erlitten und verstehen es vielleicht gerade deshalb, Leid und Last so eindringlich und glaubwürdig zu mimen, dass es einem mitunter den Atem nimmt.
Manchmal wissen die Zuschauer kaum, ob sie heulen oder lachen sollen. So intensiv ist das Stück. Und so authentisch stellen die jungen Leute es dar.
Verfasst haben es die „Mütter“ der Theaterfamilie, Isburga Dietrich und Dr. Elke Warmuth von der katholischen Gemeinde St. Ludgerus Aurich. Sie hatten Ideen und Szenen entwickelt. Theaterpädagoge und Regisseur Claus Gosmann schrieb den jungen Darstellern im Drehbuch die Rollen auf den Leib. Jann Janssen textete und komponierte Lieder, die das Geschehen verdichten. Die Psychologin und Tanzpädagogin Dr. Katharina Lühring setzte die Musik in teils pantomimische Bewegung um. Viele weitere Helferinnen und Helfer standen den jungen Darstellern, die oft aus prekären Verhältnissen stammen, zur Seite. So lernten sie „nebenbei“ Schlüsselkompetenzen wie Ausdauer und Zielstrebigkeit, Eigenverantwortung und Respekt, Offenheit und Flexibilität.
Heraus kam ein ergreifendes Werk von anderthalb Stunden Dauer. Die Geschichte der Demenz kennt kein Happyend. Als in einer der beiden Aufführungen 2018 der letzte Satz in diesem Stück gesagt und der letzte Ton verklungen war, erhoben sich über 600 Theaterfreunde. Sie klatschten und wollten nicht aufhören. Sie verfielen nicht in rhythmischen Beifall und stampften keine Rakete. Es war, als hätten sie Sorge, ein Zuviel an munterer Zuwendung könne den Ernst der aufführenden Kinder und Jugendlichen stören. Denn dieses Theater war kein Jubelstück, sondern ein Stück menschlichen Lebens. Jetzt ist es noch einmal zu sehen. Es ist vielen zu wünschen.
Text und Fotos: Delia Evers