Hochgebet und die Frage „für alle“ oder „für viele“
Martin Willing | Im neuen Messbuch wird es Änderungen geben
Es handelt sich nicht um eine akademische Diskussion, die uns nicht weiter berühren könnte. Es geht um nicht weniger als die Frage, was genau Jesus beim letzten Abendmahl gesagt hat: Ist er „für alle“ gestorben oder „für viele“?
Im eucharistischen Hochgebet während der Wandlung, also tief im Herzen des katholischen Glaubens, heißt es künftig, dass das Christi Blut „für viele vergossen wird“, nicht mehr „für alle“.
Die Änderung, die mit Einführung des neuen Messbuchs vollzogen werden soll, geht auf das Einwirken von Papst Benedikt XVI. zurück.
Papst Benedikt XVI. : „für viele“, nicht „für alle“.
Benedikt hatte am 14. April 2012 in einem Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, angemahnt hat, dass die Worte Christi textgetreu mit „für viele“ und nicht interpretierend mit „für alle“ übersetzt werden müssen.
Die entsprechende Stelle im eucharistischen Hochgebet lautet:
► „Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch, dankte wiederum, reichte ihn seinen Jüngern und sprach: Nehmet und trinket alle daraus. Das ist der Kelch des neues und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ – In der Neufassung wird es heißen: „… für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“
Den genauen Wortlaut in Aramäisch und Hebräisch, den von Jesus gesprochenen Sprachen, haben die vier Evangelisten nicht selbst gehört. Weil der hebräische Urtext unbekannt ist, ist die griechische und lateinische Übersetzung maßgeblich, und dort liest man „polloi“ (griechisch: für viele) und „pro multis“ (lateinisch: für viele). Aber im Hebräischen, auf dem alle Übersetzungen fußen, wird das Wort „viele“ auch sinngleich für „alle“ benutzt.
Seitdem das Hochgebet nicht mehr in Latein, sondern in der jeweiligen Muttersprache gesprochen wird, heißt es – in den deutschen Diözesen – „für alle“, wo bis dahin „pro multis“ gesagt wurde. In Messbüchern aus der Zeit vor den Veränderungen im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils („Schott“), die die lateinischen Passagen brachten und daneben die deutsche Übersetzung, war „pro multis“ mit „für viele“ übersetzt worden.
Die interpretierende Übersetzung („für alle“) wird mit der katholischen Glaubenslehre begründet, denn die sagt klar: Christus ist für alle Menschen gestorben.
Gilt das nun nicht mehr? Papst Benedikt gab in seinem Brief an die deutschen Bischöfe eine Antwort, die schlichten Gläubigen nicht auf Anhieb eingehen dürfte:
► „Dass Jesus Christus als menschgewordener Sohn Gottes der Mensch für alle Menschen, der neue Adam ist, gehört zu den grundlegenden Gewissheiten unseres Glaubens. (…) Wenn dies so klar ist, warum steht dann im Eucharistischen Hochgebet ‚für viele‘? Nun, die Kirche hat diese Formulierung aus den Einsetzungsberichten des Neuen Testaments übernommen. Sie sagt so aus Respekt vor dem Wort Jesu, um ihm auch bis ins Wort hinein treu zu bleiben.“
Und:
► „‚Alle‘ bewegt sich auf der ontologischen Ebene – das Sein und Wirken Jesu umfasst die ganze Menschheit, Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft. Aber faktisch, geschichtlich in der konkreten Gemeinschaft derer, die Eucharistie feiern, kommt er nur zu ‚vielen‘. (…) Wir sind viele und stehen für alle. So gehören die beiden Worte ‚viele‘ und ‚alle‘ zusammen und beziehen sich in Verantwortung und Verheißung aufeinander.“
Das päpstliche Schreiben, das eine entsprechende Anordnung zur Textänderung enthält und verbindlich ist für die deutschen Bischöfe, löste ein zwiespältiges Echo aus. Einige Bischöfe, so auch Felix Genn (Münster), begrüßten die Intervention von Benedikt XVI.. Bischof Genn erklärte in einer Stellungnahme, nur im deutschsprachigen Raum werde eine interpretierende Übersetzung (“für alle“) benutzt. Benedikt XVI. habe deutlich gemacht, „dass es um Übersetzung und nicht um Auslegung“ gehe. Von einer politischen Entscheidung – etwa als Zugeständnis an die Piusbrüder – könne keine Rede sein.
Der „Übersetzungsstreit“ ist im „Fußvolk“ der Katholiken noch nicht angekommen. Das kann sich bald ändern, denn Papst Benedikt hatte vor seiner Emeritierung die Bischöfe ausdrücklich aufgefordert, das Thema in die Gemeinden zu tragen und in der Deutung der Hochgebetsworte darzulegen, dass sich durch die textgetreue Übersetzung nichts an den bestehenden Glaubensinhalten geändert habe.
Ob das die Kirchgänger auch so unproblematisch sehen oder ob ihnen die Ohren klingen, wenn sie den „neuen Text“ zum ersten Mal während der Messfeier hören, hängt weitgehend von der künftigen Unterweisung der Gemeindemitglieder durch ihre Priester ab. Mancher Pfarrer, so ergibt sich aus vertraulichen Gesprächen, ist über die zu erwartende Reaktion der Gläubigen besorgt.
Die Zeitschrift Christ in der Gegenwart hat das Thema aufgegriffen (19. Januar 2014). In Deutschland werde an einer neuen Übersetzung des römischen Messbuchs gearbeitet, die 2016 oder 2017 vorliegen könnte. Dann müsse die neue Formulierung eingeführt werden.
Für die Neuformierung werden drei Gründe angeführt:
• die höhere Wörtlichkeit der Übersetzung sowohl gegenüber den biblischen Quellentexten als auch gegenüber der römischen Liturgie, wo es „pro multis“ heißt;
• zweitens die größere Einheitlichkeit des Hochgebets in den verschiedenen Landessprachen;
• drittens die Vermeidung des Missverständnisses, es gäbe eine Art Heilsautomatismus.
Thomas Söding, der Autor des Beitrags in der zitierten Zeitschrift, versichert:
► „’Für alle‘ ist die sachlich richtige Wiedergabe des biblischen Textes. Sie entspricht auch am besten dem Sinn der Eucharistie. ‚Für viele‘ hingegen wirft im heutigen Deutsch Fragen auf, die im ursprünglichen Zusammenhang nicht bestanden. Man muß mühsam erklären, was gemeint – und vor allem, was nicht gemeint ist. Zumal die nachträgliche Veränderung wird Zweifel aufkommen lassen: Wird das Opfer etwa nicht mehr ‚für alle‘, sondern nur noch ‚für viele‘ dargebracht? Das kann doch nicht wahr sein, wird aber so verstanden werden. Jene, die zum Gastmahl der ewigen Herrlichkeit geladen sind, sind nicht wenige, sondern unendlich viele, nämlich alle. Wen Gott dann in seinem Reich willkommen heißen wird – wer will das wissen? Daß es alle seien, die eingeladen sind – wer wollte das nicht hoffen?“
Thomas Söding, Dr. theol., geb. 1956, Professor für Biblische Theologie in Wuppertal; Mitglied der internationalen Theologenkommission des Vatikan und der Akademie der Wissenschaften in Nordrhein-Westfalen. Zahlreiche Veröffentlichungen.