Kanzeltausch – so leicht ging Ökumene
Kanzeltausch – so leicht ging Ökumene im Jahr des Reformationsjubiläums am jüngsten Sonntag. In St. Ludgerus Aurich war Pastor Jörg Schmid aus der ev.-reformierten Gemeinde zu Gast und fremdelte kein bisschen.
Während seiner Ausbildung hatte er bereits zahlreiche katholische Stationen durchlaufen und kennt ihre liturgischen Abläufe und Gepflogenheiten.
Eigentlich hatte Schmid ein anderes Berufsziel gehabt. Er stammt aus einem Pfarrerhaushalt, und früh hatte er sich bestätigt: „Pfarrer wirst du nicht!“ Er studierte Musik und erkannte irgendwann: „Für mich ist das kein Lebensberuf.“ Da fehlte was. Plötzlich fand er gar nicht mehr so schlecht, was der Vater machte, und wurde – Pfarrer.
Dass Jörg Schmid zwei Professionen hat, hörten die Gläubigen in St. Ludgerus noch vor seiner Predigt. Er stimmte sie mit seiner Altflöte und drei der „Zwölf Fantasien“ von Georg Philipp Telemann ein. Telemann: Das ist noch so ein Jublilar im Lutherjahr; er starb vor 250 Jahren, nachdem er Komposition und Musikanschauung seiner Zeit stark beeinflusst hatte.
Ein Suchen und Finden sah Jörg Schmid in der Musik – und spielte sich damit quasi mitten in seine Predigt über „Die drei Weisen aus dem Morgenland“. Auch die hätten gesucht und gefunden…
„Na nu?“, dachte mancher in der Kirche: Heilige Dreikönige? Hatten wir die nicht schon? Ja, klar, die hatten wir schon, und dennoch bleiben die Geschehnisse rund um die Weisen jeden Tag des Jahrs aktuell. Wir alle kennen die schöne, bildreiche Geschichte und wissen erstaunlicherweise viel mehr über sie als in der Bibel steht.
Schmid verblüffte die Gläubigen ein ums andere Mal: Er zeigte auf, was wir von der Geschichte alles zu kennen meinen, obwohl sie ursprünglich nur in ganz wenigen Sätzen überliefert war.
Sind wir Christen ein Verein von Leuten, die sich selbst noch die biblischen Texte schönreden?
Schmid war anderer Auffassung. „Die Geschichte von den Weisen ist deshalb so herrlich, und sie gibt uns deswegen so viel zu denken, weil sie eine Wahrheit darstellt, obwohl diese drei Männer vielleicht in Wirklichkeit nie gelebt haben.“
Wie passt das zusammen? Die Geschichte stellt eine Wahrheit dar, obwohl sie so vielleicht nicht war?
Genau das war Schmids Thema. „Das ist etwas Wesentliches für Religion überhaupt. Religion, unser Glaube, hängt nicht davon ab, ob die Themen des Glaubens sich in einer wissenschaftlichen oder historischen Weise überprüfen lassen. Das ist gar nicht nötig. Dinge können wahr sein, obwohl sie nie stattgefunden haben.“
Das bedeute nicht den Umkehrschluss, der Glaube sei unvernünftig, naiv oder illusionär.
Der Glaube sei nicht unvernünftig. „Der Glaube ist übervernünftig.“
Schmid sagte: „Eine Legende wie die von den drei Weisen enthält mehr Wahrheit als das naturwissenschaftliche Suchen nach Beweisen… Die Geschichte ist voller Weisheit.“
Der Geistliche zitierte den Luther-Satz: „Wenn morgen die Welt untergeht, dann pflanze ich heute noch einen Apfelbaum.“ Allerdings habe Luther diesen Satz nie gesagt. „Der Satz ist gut erfunden, hervorragend. Weil er Luthers Glauben und Denken sehr gut wiedergibt.“
Wenn Gläubige akzeptieren könnten, „dass etwas wahr ist, auch wenn es nicht so war, dann sind wir weit entfernt von Fundamentalisten, die am Wort im wörtlichen Sinne kleben; und entfernt von Glaubens- und Gottesleugnern, die alles Religiöse für Wahn und Einbildung halten“.
Dann könnten Gläubige eine gute Mittellage einnehmen. So sei es auch den drei Weisen gegangen. „Sie suchen die Wahrheit in den Sternen, da, wo lange Zeit so etwas wie die göttlichen Geheimnisse vermutet wurden.“ Aber dann hätten sie den Blick gesenkt, „sich gebückt und das Kind in der Krippe als allerhöchstes Geheimnis verstanden. Gott erscheint im Kind; Gott wird Fleisch. Das ist eine ganz krasse Aussage.“
Schmid war mit Blick in den Himmel sicher: „Über Gott können wir da oben nichts erfahren.“ Und ebenso wenig sei über Gott in Instituten wie der europäischen Großforschungseinrichtung CERN etwas zu lernen. Er finde Wissenschaft spannend und wichtig: „Aber über Gott werden wir in diesem extremen Mikro-Bereich genau so wenig finden wie in den hintersten Winkeln des Weltalls. Gott zeigt sich nur in der Mitte. Da, wo wir leben und es verstehen können.“
Die alltägliche Welt der Menschen sei der Ort, Gott zu begegnen, oder wie der Künstler Joseph Beuys es einmal gesagt habe: „Das Mysterium findet am Hauptbahnhof statt.“
Schmid meinte, oft seien Menschen blind für das, was sie immer vor Augen hätten. Das sei nicht immer eine heile Welt. Auch Jesus sei nicht in eine heile Welt hineingeboren worden. „Und doch ist nur hier, unter Menschen, mit Hilfe des Mensch gewordenen Gottes, ein Leben in Menschlichkeit möglich.“
Wie so oft nach den Sonntagsgottesdiensten in der St.-Ludgerus-Kirche standen Gläubige vor den Toren und sprachen über die Predigt. Wohl die meisten waren angetan von der unaufdringlichen, klaren und zudem musikalischen Note, die Schmids Predigt begleitet hatte – und von der Predigt selbst.
Die Teilnehmer des jüngsten Glaubensgesprächs am Kamin waren verblüfft, wie gut die Aussagen zu ihren eigenen Gesprächsbeiträgen passten.
Auch Jörg Schmid hatte sich ausgesprochen wohl gefühlt. Er kann sich – wie einige Gottesdienstbesucher – einen weiteren Kanzeltausch gut vorstellen.
Hier die Predigt von Johannes Ehrenbrink zum Nachlesen.