Klüngeltüngels kamen als friedliche Ostfriesen
Am 20. November machten sich 23 Klüngeltüngels auf den Weg nach Jever, um das Schloss zu besichtigen. Dort angekommen wurden sie von Werner Kleinschmidt erwartet, der sie in den Audienzsaal geleitete.
Nachdem alle Platz genommen hatten, gab er seiner Freude darüber Ausdruck, dass Auricher Bürger und Bürgerinnen, also Ostfriesen, in friedlicher Absicht nach Jever gekommen waren, um das Schloss zu besuchen; haben doch über Jahrhunderte hinweg ostfriesische Häuptlinge versucht, durch Angriffe, Belagerung oder List das unabhängige Jeverland ihrer Grafschaft einzuverleiben.
Zur klammheimlichen Freude der Jeveraner ist ihnen das nicht gelungen. Jever gehört auch heute nicht zu Ostfriesland.
Kleinschmidt begann seinen geschichtlichen Überblick mit Beginn des 16. Jahrhunderts, als Edo Wiemken der Jüngere die Geschicke des kleinen Jeverlandes in Händen hielt. Er hatte schon im jugendlichen Alter die Regentschaft von seinem früh verstorbenen Vater übernommen, und auch er musste sich immer wieder gegen die Angriffe der Ostfriesen wehren. Einmal hat ihn sogar nur das Eingreifen des Bischofs von Münster vor der Übernahme bewahrt.
Edo Wiemken war in erster Ehe mit Frouwe, der Tochter des Häuptlings von Dornum verheiratet. Aus dieser Ehe gingen drei Töchter hervor, die aber alle, wie auch ihre Mutter im gleichen Jahr 1497, verstarben.
Er heiratete daraufhin Heilwig, die Schwester des Grafen Johann von Oldenburg. Durch diese Heirat schuf er familiäre Beziehungen zum Herrscherhaus in Oldenburg, das ihn bei den Auseinandersetzungen mit den ostfriesischen Grafen unterstützte.
Edo und Heilwig hatten vier Kinder. Nach Zwillingen wurde 1500 als drittes Kind die spätere Regentin Maria von Jever geboren. Sie war gerade mal ein Jahr alt, als ihre Mutter bei der Geburt der jüngeren Schwester starb.
Zehn Jahre später verstarb auch der Vater. Sein Schwager, der Graf von Oldenburg, übernahm die Vormundschaft der Kinder und setzte als Regenten fünf Dorfoberhäupter ein, die Edo selbst noch bestimmt hatte. Diese hatten allerdings in erster Linie ihre eigenen Interessen im Auge und veruntreuten den Besitz der Waisen.
Die Erziehung der drei Mädchen richtete sich auf die damals typische Frauenrolle aus, nach wirtschaftlich und politisch günstigen Gesichtspunkten verheiratet zu werden.
Allein der Sohn genoss am Hof von Lüneburg eine ritterliche Ausbildung und wurde auf die künftigen Aufgaben als Häuptling des Jeverlandes vorbereitet.
Als der einzige männliche Erbe im Alter von 18 Jahren plötzlich verstarb, wurden die drei Mädchen von verschiedenen Seiten bedroht.
Ein Neffe der ersten Frau Edos sah sich als berechtigter Erbe. Er wurde nicht in die Burg gelassen und zog unverrichteter Dinge wieder ab. Der Pflegevater des Bruders, der Graf von Braunschweig, wollte sich das Vertrauen der Mädchen erschleichen, um sie in ein Kloster abschieben zu können. Auch das misslang. Graf Edzart von Ostfriesland versuchte mit einem gefälschten Lehnsbrief, sich das Jeverland unter den Nagel zu reißen.
Letztendlich erhielt Edzart von den Vormündern der Mädchen die Erlaubnis, die Schutzherrschaft über Jever auszuüben. Er hatte dieses durch einen Heiratsvertrag erwirkt, der besagte, dass innerhalb von sieben Jahren eines der Fräuleins einen der ostfriesischen Grafensöhne heiraten sollte. Als Mitgift war die Herrschaft von Jever vorgesehen.
Die ostfriesischen Grafensöhne hielten ihr Heiratsversprechen nicht. Die Hochzeit wurde immer wieder verschoben. Statt dessen nahmen sie die Burg Jever in Besitz, feierten wilde Feste und demütigten die beiden Schwestern Anna und Maria, die jüngste war inzwischen verstorben.
Hilfe erhielten die Schwestern in dieser Situation durch den vom ostfriesischen Grafen eingesetzten Drosten Boing von Oldersum, der bis heute als Marias Verlobter gilt. Er vertrieb die Besatzer aus Jever.
Bisher hatten sich die Schwestern wenig an der Regierung beteiligt, auch wenn auf verschiedenen Urkunden ihre Namen zu finden sind. Aber jetzt trat Maria erstmals eigenverantwortlich auf, in dem sie einen Pakt mit ihrem Vetter Balthasar von Esens zum gegenseitigen Schutz vor Ostfriesland schloss.
In der Zukunft zeichnete sich Maria, deren ältere Schwester Anna ihr die Ansprüche als Erbfräulein abgetreten hatte, durch einen starken Willen, durch einen wachsenden Wunsch nach Selbstständigkeit und außergewöhnliche Entscheidungen aus. So gelang es ihr, das väterliche Erbe zu verteidigen und die Regierungsgeschäfte in die eigenen Hände zu nehmen.
Nach etlichen weiteren Kämpfen um das Jeverland, wobei ihr Verlobter Boing ums Leben kam, widmete sich Maria dem Ausbau der Landesherrschaft. Sie hat viel für ihre Heimat getan.
Der Flecken Jever wurde 1536 zur Stadt erhoben und zur Residenz ausgebaut. Die Burganlage ließ Maria zum Schloss umbauen. Die markante Zwiebelhaube ist bis heute Wahrzeichen des Jeverlandes. Auch die bis heute gut erhaltene geschnitzte eichene Holzdecke im Audienzsaal stammt aus dieser Zeit.
Maria kümmerte sich um den Deichbau. Dabei ging es nicht nur um die Reparatur der Schäden, sondern sie vergrößerte ihr Herrschaftsgebiet durch Neueindeichungen.
Sie förderte die Rechtspflege, wobei sie sich bei der Formulierung eines neuen Landrechts an das römische Recht anlehnte. Der Handel florierte, und Maria prägte eigene Münzen, die bis heute im Schloss zu sehen sind.
Maria verstarb 1575 unverheiratet. Sie setzte als Erben den Grafen von Oldenburg ein unter der Voraussetzung, dass dieser sich nie mit den Ostfriesen einließ.
Als sie starb, war die Angst vor einem Übergriff der ostfriesischen Grafen so groß, dass man ihren Tod verschwieg. Ihr Zimmer wurde verschlossen, die Mahlzeiten vor die Tür gestellt. Ein Diener soll heimlich die Teller leer gegessen habe, damit keiner Verdacht schöpfen konnte, bis der rechtmäßige Erbe eingetroffen war.
Durch Erbschaft fiel das Jeverland nach Oldenburg 1667 an die Fürsten von Anhalt-Zerbst und 1793 an Russland, wo die russische Zarin Katharina die Große herrschte, die eine Schwester des verstorbenen letzten regierenden Fürsten von Anhalt Zerbst war. Bis 1818 blieb Jever im Besitz des russischen Zaren, dann trat Alexander I. es wieder an die Oldenburger ab. Und so war Jever bis 1918 Bestandteil des Großherzogtums Oldenburg. Die Ostfriesen bekamen es nie.
Nach diesem interessanten und launig vorgetragenen Geschichtsüberblick okkupierten 23 Ostfriesen das Schlosscafe, wo sie gemeinsam mit einigen Jeveraner/innen in friedlicher Atmosphäre ihren Kaffee und leckere Torte genossen.
Am nächsten 20. treffen sich die Klüngeltüngels im Kaminraum des Boni-Hauses zur Adventsfeier. Es sind alle herzlich eingeladen.
Text: Elisabeth Funke, Fotos: Delia Evers