Mit ganz neuen Augen Blick auf Langeoog

Im Juni waren die Klüngeltüngels von St. Ludgerus natürlich auch unterwegs, und was liegt im Sommer näher als ein Ausflug zur Insel Langeoog. Diesmal ging es allerdings nicht nur fröhlich zu…

Brigitte Hesse führte die Klüngeltüngels und eine Gruppe von Gemeindemitgliedern aus Neustadtgödens zu den Spuren russischer Kriegsgefangener, die im Zweiten Weltkrieg auf der Insel lebten. Viele starben.

Langeoog ist eine „Insel zum Leben“, aber es gibt auch diese dunkle Seite. Die Klüngeltüngels erfuhren sie.

Nach einem guten Frühstück, das liebe Mitglieder der dortigen katholischen Gemeinde für die Reisegruppe bereitet hatten, war die St.-Nikolaus-Kirche die erste Station.

Bestens bewirtet wurden die Klüngeltüngels im Gemeindehaus an St. Nikolaus Langeoog. Hier berichtet Elisabeth Funke gerade über künftige Reiseziele.

Die Gestaltungsidee der Kirche ist ein von der Erde aufwärts ragender Schiffsbug. Der Turm hat die Form eines Vorderstevens. Der Innenraum präsentiert sich weit und hell und öffnet durch Klarglasfenster den Blick auf die Insellandschaft. Das Kreuz ist als Steuerrad gestaltet.

Führung am Haus Meedland.

Nach einem gemeinsamen Gebet ging es weiter zum „Haus Meedland“, heute eine Begegnungsstätte der Bremischen Evangelischen Kirche.

Wer genau hinschaut, entdeckt auf den Pflastersteinen Buchstaben. Sie ergeben die Wörter „Todesursache allgemeine Körperschwäche“. So hieß es immer wieder in den Totenscheinen für verstorbene Kriegsgefangene – ein Hohn, denn meist hatten sie Hunger, Gewalt und völlige Verausgabung nicht überlebt.

Die Vorgeschichte ist trübe: Im August 1941 wurden sowjetische Kriegsgefangene auf die Insel gebracht, um an dem Luftwaffenstützpunkt zu bauen sowie andere Arbeiten wie Straßenbau u. ä. zu leisten.

Unterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung waren, wie in allen Lagern, speziell für die sowjetischen Gefangenen äußerst schlecht, und sie waren unmenschlicher Behandlung unterworfen. Innerhalb kurzer Zeit starben mehr als ein Drittel von ihnen – an Krankheiten, aber noch mehr an Hunger, härtester Arbeit und dem Terror der Wachmannschaften.

Genau wie in den anderen Lagern wurde auch in Langeoog brutal mit ihnen umgegangen. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende ist dieses Thema noch immer oft ein Tabu. Die Kapelle im Haus Meedland soll neben der eigentlichen Nutzung als Andachts- und Meditationsraum ein Gedenkort für die Sowjetsoldaten sein.

Der Dünenfriedhof liegt nordöstlich des Inseldorfs inmitten von Dünen. Der Friedhof ist vor allem wegen des Grabs der 1972 bestatteten Sängerin Lale Andersen bekannt. Aber es befinden sich hier auch zwei Gedenkstätten.

Die eine Gedenkstätte auf dem so genannten „Russenfriedhof“ erinnert an die 113 verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen. Das Massengrab am Rande des Dünenfriedhofs wird heute durch sechs Stelen mit den Namen der 113 Toten markiert.

Russische Kriegsgefangene auf Langeoog. Das Foto ist entnommen der Broschüre „Todesursache allgemeine Körpererschöpfung – Arbeitskommando 7, sowjetische Kriegsgefangene auf Langeoog, 1941/42“, von Helmut Junk.

Stelenfeld.

Bemerkenswerte Kunst: eine Mutter, ganz umhüllt von Trauer.

Die zweite Gedenkstätte erinnert an die rund 450 Baltendeutschen, die im Februar 1945 aus einem Altenheim in Westpreußen evakuiert wurden und nach einer dramatischen Flucht auf Langeoog eine neue Heimat fanden. Viele von ihnen sind in einer eigenen Abteilung auf dem Dünenfriedhof begraben.

Das Altarbild (Ausschnitt), das jeden, der sich darauf einlässt, mit einer Fülle von Assoziationen überfällt – durch den schräg liegenden und stark ramponierten Dampfer (die Kirche?), durch die Menschen, die teilnahmslos und in der Menge allein herumstehen, reisefertig sind, ihre Päckchen dabei haben und warten – auf etwas anderes warten als auf diesen Dampfer? Auf eine Ankunft? Auf ein besseres Schiff? Auf jemanden, der ihnen sagt, dass es gerade dieser ramponierte Dampfer ist, der sie weiterbringen kann, wenn sie ihn weiterbringen? Ins Auge fällt zudem der leere Tisch im Bildvordergrund. Ganz rechts sind zwei Hände angedeutet. Wartet dort jemand? Bittet dort jemand zu Tisch? Ist gar nicht der Dampfer der Kern der Bildaussage, sondern dieser Tisch als der Ort, an dem Jesus seine Mahlsgemeinschaft gestiftet und Menschen zusammengebracht hat? Doch vor lauter Schräglage und düsteren Wolken bleibt ihr Blick leer und ziellos. Hoffnungsschimmer sind der kreuzförmige Schiffsmast in einem hellen Wolkenloch und der grüne Boden, auf dem die Menschen ebenso stehen wie der Tisch.

Letzte Station des Rundgangs war die Inselkirche, deren besondere Anziehungskraft ein Altarbild von Hermann Buß aus Norddeich ist, das völlig aus dem Rahmen des Gewohnten fällt.

Geschaffen wurde es anlässlich der Restaurierung der Inselkirche in den Jahren 1988/1989.

Es zeigt als Leitmotiv ein gestrandetes Schiff.

Das Langeooger Altarbild ist eine Provokation, die sich allerdings dem flüchtigen Betrachter zunächst hinter der Harmonie der Farben und einem ‚passenden‘ Leitmotiv – einem Schiff – verbirgt.

Man muss genau und lange hinsehen, sich mit dem Kunstwerk auseinander setzen und es  im Zusammenklang mit dem Kirchenraum wirken lassen.

Nach diesen ernsten, aber sehr interessanten Stunden brauchten die Klüngeltüngels Erholung, die jeder für sich gestalten konnte. Eine große Gruppe suchte diese in einer Eisdiele, einige wollten schwimmen oder wenigstens mit den Füßen ins Wasser.

Denn gefühlt war es der heißeste Tag in diesem Sommer, und von Wind war nichts zu spüren.

Erschöpft, aber sehr zufrieden mit dem eindrucksvollen Tag und Überlegungen für das nächste Treffen ging es gemeinsam zurück nach Aurich.

Gespannte Blicke auf das Altarbild in der Inselkirche.

Brigitte Hesse öffnete den Klüngeltüngels kundig und eindrucksvoll die Augen für viele Besonderheiten der Insel Langeoog. Sie tat es auf eine fast leise Art. Sie fragte viel und ermöglichte so wohl jedem ungewöhnliche, eigene Zugänge.

Die Klüngeltüngels fahren mit der Fähre zurück ans Festland.