Reisetag 5: Warum Rosi einen Edelstein geschenkt bekam

Mit einer Busladung voller Ostfriesen, die binnen einer Stunde bei Hess im Hunsrück zu Edelsteinschleifern mutierten, kehrte Fahrer Thomas aus Kirschweiler bei Idar-Oberstein ins Hotel zurück. Und das kam so…

Edelsteinschleifermeister Gerd Hartmann, Spezialist für Facettenschliff, führte sein Handwerk, das eigentlich eine dreijährige Ausbildung erfordert, derart anschaulich, freud- und hoffnungsvoll vor, dass er schon zu Beginn behauptete: „Ich mache die Führung so, dass Sie zu Hause alles selber können.“

Schon legte er los und faszinierte seine Gäste mit Handwerksgerät, das im Laufe von Jahrhunderten nicht wirklich revolutioniert worden ist. 1454 – auf dem Reichstag in Frankfurt bot Herr Gutenberg gerade seine ersten Bibeln zum Verkauf an – brachen findige Leute rund um Idar und Oberstein Achat-Brocken aus dem Fels und schliffen sie auf Mühlsteinen.

400 Edelsteinschleifereien gibt es dort heute noch, allein 70 in Kirschweiler.

Gerd Hartmann zeigte Gestein, das er bearbeiten wollte: den Dalmatiner Jaspis.

Dann führte er vor, wie richtig geschliffen wird. Das war so spannend, dass sich kaum einer entziehen konnte. Selbst Teilnehmer, die schon einmal eine Schleiferei besucht hatten, waren begeistert.

So wird’s gemacht.

Leider hatte Gerd Hartmann zu viel versprochen. Zwar konnten die Ostfriesen allein aufgrund des feurigen Vortrags – und ohne Hand angelegt zu haben – am Ende bestimmt formvollendet schleifen, aber wie, bitte, sollen sie das ohne Handwerkszeug unter Beweis stellen?

Eine Ausnahme machte der Meister für Rosi, die so munter dreinschaute, dass er sie vom Fleck weg zu seiner Assistentin erkor, sie binnen einer halben Stunde mit Feinschliff zu einer edlen Steinkunsthandwerkerin ausbildete und so neue Karrieretüren öffnete.

Tatsächlich drückte er Rosi alles für ihr Gesellenstück in die Hand: einen Dalmatiner Jaspis, der eigentlich gar kein Jaspis ist, dafür schön hellgrau und schwarz getüpfelt, wie man es von einem ordentlichen Dalmatiner erwarten darf, dazu ein Stöckchen, auf das der Rohling aufgekittet war – und dann ging’s ran ans benässte und mit Paste versorgte Schleifband.

„Wie bitte? Sowas soll ich schleifen?“, fragte Rosi.

Doch sie zögerte nicht, nahm Platz und legte los.

Rosi hielt den Stein am Stöckchen ebenso entschlossen wie zartfühlend gegen das rotierende Schleifband, bewegte den Stein mal so und mal so und bekam vom Meister am Ende zu hören: „Ich muss das ehrlich sagen. Das ist nicht gut.“

Rosi, die Robuste, guckte nicht wirklich zerknirscht, da setzte der Meister seine Rede fort: „Das ist nicht gut, das ist seeehr gut.“ Rosi freute sich und guckte keck, und der Meister überreichte ihr feierlich das eigene Werk und schenkte ihr als Lohnerhöhung für’s offensichtliche Talent gleich noch einen fertigen Dalmatiner dazu (damit Rosi keine Schlagseite bekommt, wenn sie sich Ohrringe daraus macht).

Rosi erhielt ihre Belobigung und freute sich.

Gerd Hartmann zeigte das Werk allen anderen, und die freuten sich auch.

Gerd Hartmann zeigte Steine, die er mit Facettenschliff geadelt hat, herrliche Brocken mit feinsten Maserungen, die durch die meisterliche Hand erst ans Tageslicht geholt worden sind. Er hat sie mit Schleifscheiben immer feiner werdender Körnung und verschiedener Härten bearbeitet, dabei Öl und Wasser genutzt, damit nichts heißläuft und damit es wenig staubt, denn: „Die Arbeit ist eine Sauerei.“

Gesund ist sie auch nicht. „Früher gab es keine alten Schleifer. Vor 100 Jahren wurden sie 40, 50 Jahre alt.“ Staublungen machten ihnen den Garaus. Heute sorgen Absauganlagen für mehr Arbeitsqualität.

Ein 100 Jahre altes Foto: Kunsthandwerker liegen bäuchlings auf Schleifkippstühlen. So konnten sie besonders viel Druck beim Schleifen ausüben. Älter als 40 oder 50 wurde niemand.

In Kirschweiler wird alles geschliffen, was der Berg an Gestein hergibt, nur keine Diamanten. Sie sind 1000 Mal härter als z.B. ein Dalmatiner Jaspis und brauchen ganz andere Verfahren.

Die Gruppe schwärmte in Ausstellungs- und Verkaufsräume aus und bewunderte die Welt der Steine, darunter viele unverkäufliche Einzelstücke.

Danuta nutzte die Gelegenheit, dem Meister einen Ring unter die Nase zu halten. Den hatte sie sich vor 40 Jahren gekauft. Der Meister schaute kurz, sagte „aha“ und „Rhodonit“ und „stumpf“ und streckte die Hand aus. Er setzte sich an seine Schleifmaschine. Danuta und Andreas schauten gebannt auf die Hartmann’schen Finger und kurz darauf auf den glänzenden Himbeerspat, der nicht mehr bräunlich, sondern rosa-frisch leuchtete. Das tat Danuta dann auch…

Die Felsenkirche.

Einen kleinen Stopp gab es kurz darauf in Idar-Oberstein. Leider war der Zugang zur Felsenkirche, die wie ein Schwalbennest im Berg hängt, gesperrt. Es waren mal wieder Gesteinsbrocken auf’s Dach gekullert. Stattdessen wurden die vielen Schmuckstein-Geschäfte noch einmal zu einem Anziehungspunkt.

Eine Ladeninhaberin lockte mit dem Zeigefinger wie weiland die Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel einige Ostfriesen herbei und pries ihr Zuckerwerk, ne, Quark: ihr Schmuckwerk an. Auch klärte sie die Unseren auf Nachfrage darüber auf, dass das allgegenwärtige Autokennzeichen BIR für den Kreis Birkenfeld stehe. Sie legte die Hand vor ihren Mund und flüsterte plötzlich: „Unser Nachbarkreis hat das Kennzeichen KH. Das steht für Bad Kreuznach.“ Sie lockte die Umstehenden noch näher heran und schaute ihnen verschwörerisch in die Augen: „Sie dürfen es niemandem verraten. Wir von BIR sagen immer, KH steht für Kein Hirn.“

Ist doch Ehrensache, dass wir mit niemandem darüber sprechen.

Julia und Barbara mit Blick auf die Felsenkirche.

Weiter ging die Fahrt nach Saarbrücken. Der örtliche Reiseführer Peter Mögling, der aus dem schönen Städtchen Leer stammt („da habe ich bei VfL Germania Fußball gespielt“), fand auf Anhieb den richtigen Draht zu den Unseren und präsentierte die Universitätsstadt an der Saar mit Freude, als sei sie ein geschliffener Edelstein aus den Händen von Gerd Hartmann.

Dabei wirkt die Metropole auf den ersten Blick nicht schön. 80 Prozent ihrer Gebäude gingen im Zweiten Weltkrieg verloren. Saarbrücken war als Garnisonsstadt, als Kohle- und Stahlstandort und als Teil des Westwalls immer wieder Ziel alliierter Angriffe.

In den 50er- und 60er-Jahren bauten die Saarbrücker klotzig und ziemlich unstrukturiert neu. Sie rupften die gesamte Infrastruktur für ihren gut ausgebauten Tram-Verkehr aus der Stadt und glaubten fest daran, dass die Zukunft einzig dem Auto gehöre. Heute wären sie froh, wenn es die Schienen gäbe. Ihre Stadtautobahn direkt am Saarufer gehört zu den meist befahrenen Straßen Deutschlands. Zudem lässt sie sich gern von der Saar überfluten.

Peter Mögling erzählte von der wechselvollen Geschichte des Saargebietes zwischen den Fronten über lange Zeit. „Meistens wollten uns die Franzosen haben. Wegen der Kohle!“ Mal gehörte das Gebiet zur Grande Nation, dann wieder zu Preußen, war im Ersten Weltkrieg kurzzeitig erneut von Frankreich besetzt und kam dann unter die Verwaltung des Völkerbunds. 1935 entschieden über 90 Prozent der Bevölkerung in einer Volksabstimmung, dass sie zum deutschen Reich gehören wollten.

Noch im selben Jahr brannte in Saarbrücken die erste Synagoge. Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs wurde das Saargebiet 1947 ein autonomer Staat. In einer weiteren Volksabstimmung entschieden sich die Saarländer erneut für die deutsche Staatszugehörigkeit.

Die Ludwigskirche.

Stadftführer Mögling präsentierte der Gruppe noch die Ludwigskirche, ein Barockbau aus der Hand von Baumeister Friedrich Joachim Stengel. Heute gehört er der unierten Evangelischen Kirche des Rheinlands. Auch der großzügige Platz rund um die Kirche ist in das Gesamtkunstwerk einbezogen. Das gesamte Ensemble wurde bei einem Bombenangriff auf Saarbrücken 1944 zerstört und nach dem Krieg nach den alten Plänen aus dem 18. Jahrhundert komplett neu aufgebaut.

Dabei bietet das Haus einige Besonderheiten: Ein Kreuz sucht der Gläubige vergebens (immerhin bildet der Grundriss der Kirche ein griechisches Kreuz). Die Kanzel erhebt sich gleich hinter dem Altar. Die Orgel thront darüber, und gegenüber befindet sich auf einer Empore der Fürstenstuhl. Hier logierten die Fürsten bei ihren Mess-Besuchen noch ein bisschen höher als der Prediger auf der Kanzel, der doch das Wort Gottes verkünden sollte.

Passte den hohen Fürsten die Predigt nicht, klappten sie die Fenster vor ihrem Gestühl zu. Oben über allem schaut das Auge Gottes auf die großen und kleinen Macken der Menschen.

Das Kircheninnere wird gestützt von Karyatiden, schön anzuschauenden Frauenfiguren: Damen, die die Lasten der Welt tragen und Allegorien der Hoffnung und der Geduld, der Freigiebigkeit und des Friedens, des weltlichen und geistlichen Regiments, der Sakramente und der Verkündigung, der Macht und der Gerechtigkeit sind.

Die Barockkirche ist ganz in Weiß gehalten.

Beeindruckt fuhr die Reisegesllschaft durch den schönen Hunsrück zurück ins Hotel, wo Markus nach dem Abendessen auf seiner Klampfe einen gemütlichen Singe-Abend begleitete.

Markus gab den Ton an.

Liederabend im Hotel.

Hoch auf dem Gelben Wagen…