„Hier treffe ich meine Lieblingsfamilie“

Nanu, was war das Freitag für eine Menschenansammlung neben dem Bonihaus? Da logierten Jugendliche und Erwachsene der Gassenhauer bei einer denkwürdigen „Probe“. Sie durften logieren…

Die Gassenhauer sind für den Deutschen Amateurtheaterpreis nominiert – eine Riesensache. Wie sagte es Freitag der gassenhauerische Theaterpädagoge Claus Gosmann auf dem Bonihaus-Rasen: „Wir haben ein Problem.“ Er fuhr grinsend fort: „Wir sind auf jeden Fall schon unter den besten Drei.“ Und Isburga Dietrich flötete als Verstärkerin: „Unter den besten Drei von ganz Deutschland!“  Es hätte schlimmer kommen können.

Die Mittäterinnen und Mittäter dieses sozio-kulturellen Projekts mit Wurzeln in St. Ludgerus Aurich punkteten in der Kategorie „Theater ist Leben“. Allein die Nominierung adelt die Gassenhauer.

167 Gruppen haben sich bundesweit für den amarena – so lautet der Kosename des Preises – beworben.

Schade nur, dass der Bund deutscher Amateurtheater (BDAT) als Ausrichter die Preisverleihung in Friedrichshafen am Bodensee wegen der Pandemie kippen musste. Jetzt gibt es für Endausscheidung und Verleihung ein neues Konzept. Die Gruppen, die noch im Rennen sind, drehen ein Video und zeigen in Bild, Bewegung und Wort, was sie drauf haben und was sie preiswürdig macht. Die BDAT-Jury bewertet die Streifen, stellt sie online und fragt zusätzlich die Ansicht von Netznutzerinnen und Netznutzern ab. Aus diesem Meinungs-Mix (Jury und Publikum) ergibt sich die Platzierung.

Nun muss bei den Gassenhauern baldmöglich das eingeforderte Video her. Freitag trafen sich die Jugendlichen mit ihren erwachsenen Begleiterinnen und Begleitern neben dem Bonihaus, um genau das vorzubereiten.

Sie hielten sich streng an die niedersächsischen Corona-Auflagen. Danach dürfen sich zehn Personen starke Jugendgruppen treffen, wenn eine pädagogische Kraft dabei ist (Freitag waren gleich zwei Profis zugegen). Gemeinsam besprachen alle, was ihnen bei den Gassenhauern wichtig ist, und übten sich in Frage-Antwort-Spielen. Denn ein Interview mit den Gassenhauern soll dem Video Tiefe und Authentizität geben.

Die Jugendlichen und ihr Betreuerteam sagten in Gesten, was sie bei bestimmten Gedanken empfinden.

Auch in dieser Szene ging es um Gefühlsausdruck.

Zu Wort kommen die Jugendlichen selbst, zudem die Arbeiterinnen und Arbeiter auf, hinter und vor der Bühne, denn: Die Familie hat Mitglieder aller Altersgruppen und in allen Theaterberufen. Da sind Leute für’s Drehbuch, für die Regie, für’s Bühnenbild, für Verpflegung, Dokumentation, Choreographie, Musik, pädagogische Begleitung, Finanzhaushalt und Schauspiel. Sie alle helfen, dass bei den Gassenhauern schon lange stimmt, was das Kategorie-Motto des Wettbewerbs verheißt: Theater ist Leben.

Dieses Leben setzen Profifilmer ab Freitag ehrenamtlich für die Gassenhauer in Szene. Die Hamburger Unternehmung 360 Grad Creations packt in Aurich ihre Technik und ihr Wissen aus. Mit diesen Zutaten glänzte sie schon, als sie 2019 den Auricher Stadtfilm drehte und 2020 kostenlos als solidarische Aktion in Corona-Zeiten eine Online-Plattform für Auricher Einzelhändler und Gastronomen schuf. Kreativ waren und sind in der kleinen, feinen Gesellschaft Ann-Catherine Lukes, Friedrich Musolf und Dominik Dietrich.

Dietrich? Moment! Heißt Isburga nicht ebenfalls Dietrich? Klar doch: Isburga ist die Dietrich und mit Elke Warmuth nicht nur eine der beiden Gassenhauer-Mütter, sondern zudem Dominiks Mutter. Im Gespann sind die beiden vereint mit den anderen geballte Power.

Beim Treffen am Freitag tauchte die Frage auf: „Warum wollen wir den Preis gewinnen?“ Die Jugendlichen fanden triftige Gründe. „Wir lieben die Arbeit.“ „Wir erklimmen selbst den steilsten Berg.“ „Wir sind Gemeinschaft.“ Claus Gosmann fragte: „Was wäre, wenn ihr diese Gemeinschaft nicht hättet?“ Ein Mädchen sagte: „Darüber will ich nicht nachdenken. Das macht mich ganz traurig.“ Ein Junge meinte: „Eigentlich brauchen wir den Preis nicht.“ Die Gassenhauer seien längst ohne Auszeichnung etwas Großes: eine starke Familie. Alle freuten sich an diesem Satz.

Wer solche Sätze hat, braucht tatsächlich keinen Preis mehr, obwohl allein dieser Satz ein bisschen preisverdächtig ist. Was starke Familie ausmacht, zählten die Jugendlichen auf: Sie sind eingebunden in eine Gemeinschaft, die die unterschiedlichsten großen und kleinen Talente achtet, mitträgt, fördert und im Streit aushält. „Wir leben miteinander, lernen voneinander, halten zusammen und halten uns aus.“ „Wir haben Spaß.“ „Wir respektieren und vertrauen uns.“ Ein Mädchen schaute glücklich in die Runde und sagte: „Hier treffe ich mich mit meiner absoluten Lieblingsfamilie.“ Genau dieses Familiengefühl über Generationen, Aufgaben und Talente hinweg ist die Stärke der Gassenhauer.

Das wollen sie in ihrem Video deutlich machen und bestmöglich abschneiden. Gewonnen haben sie schon.

Text und Fotos: Delia Evers