Von Montag, 27. Juli bis Montag, 3. August 2015
Erster Tag | Montag, 27. Juli 2015 | Gut angekommen
Die Weltenbummler aus unserer Pfarreiengemeinschaft sind gegen 17 Uhr wohbehalten in Dresden angekommen. Im Reisebus, der die Gäste auch in den kommenden Tagen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit trägt, war alles top organisiert; denn Steffi kutschiert, standfest selbst auf Schockelpisten, mit. Nein, nicht Frau Holle!, sondern die Frau von Busfahrer Thomas, den viele schon von früheren Reisen kennen und schätzen.
Steffi hat die Gäste vorzüglich versorgt – mit starkem Kaffee und in der Mittagspause mit selbst angerichtetem Nudelsalat! Allerdings dauerte es ein bisschen, bis sich herumgesprochen hatte, dass man auch an einem Reisebus wie an einem Buffet zunächst in einer Schlange ansteht und der Kopf der Schlange seltener hinten und häufiger vorn anzutreffen ist, sprich an der Vordertür.
Thomas und Steffi erklärten bei 38 Teilnehmern gefühlte 37 Mal, dass die Vordertür als Eingang ins Bus-Restaurant schon deshalb vorzuziehen sei, da an der Hintertür kein Durchkommen war: Dort hatten die beiden die Wurst- und Salatbar aufgebaut.
Schon zu Beginn der Fahrt hatten Elsbeth und Josef Antony, die ehrenamtlichen Hautorganisatoren, die Reisenden mit gut vorbereiteten Informationen und einem Heftchen mit religiösen Liedern und Texten versorgt. Pfarrer Johannes Ehrenbrink versammelte kurzerhand alle Stimmen und begann den „Ausflug“ mit Gebet, Gesang und Reisesegen.
Der sehr weltliche Verwandte vom Segen, der Regen, gab der Reisegesellschaft während weiter Strecken ganz schön was aufs Dach und bot allerlei sinnreichen Gesprächsstoff. Als jemand hinter Leipzig ungläubig Weinberge sichtete, sagte ein anderer: „Den Wein von hier kenne ich, der ist sehr trocken.“ Reaktion von einem Hinterbänkler: „Bei dem Regen bleibt der nicht lange trocken.“
Die nächsten Tage werden, versprochen, handfestere Informationen bieten. Dafür sorgen schon Josef und Elsbeth.
Zweiter Tag | Dienstag, 28. Juli 2015 | Großartige Einblicke
Der zweite Tag bescherte der Reisegruppe beeindruckende Bilder von der Stadt Dresden. Eine Busrundfahrt am Morgen öffnete den Sachsen-Gästen aus Ostfriesland einen Schelldurchgang in Sachen Stadtgeschichte. Er erzählte von den ersten slawisch-stämmigen sorbischen Siedlern, die bei der Völkerwanderung in den sumpfigen Wäldern an der Elbe hängen geblieben waren und sich drežďany genannt hatten: die Sumpf-Bewohner.
Die Sümpfe sind längst trockengelegt, so trocken, dass man die Elbe momentan fast zu Fuß durchwandern könnte.
Besichtigung im großen Zwinger-Areal.
Viel hörte die Reisegruppe über die Stadt der Kunst und des Kunsthandwerks, der Wissenschaft und der Bildung, der 60.000 Studenten und der geburtsfreudigen jungen Paare (die der Großstadt so viele Babys bescheren, wie das keine andere Metropole in Deutschland vermelden kann) sowie der Industrie und der Erfinder.
Ungefähr jeder zehnte Satz der Stadtführerin enthielt mit liebreichem Lokalstolz einen Schlenker hin zu Persönlichkeiten, die in Dresden geboren worden sind, hier gewirkt und Weltbewegendes erfunden haben.
Erich Kästner zählt zu den Söhnen der Stadt ebenso wie Gerhard Richter, Herbert Wehner und Helmut Schön. Das Odol-Mundwasser wurde hier erfunden, das Kristallglas, die Spiegelreflexkamera, der Bierdeckel, Filterzigaretten, Teebeutel und die guten alten Kaffeefilter von Frau Melitta. Längst belegt die Region Dresden bei den Patentanmeldungen den ersten Rang in Deutschland.
Die ostfriesischen Reisegäste erfuhren von kulinarischen Genüssen wie Dresdner Stollen („Bis Ostern im Keller liegen lassen, dann ist er am besten“), Eierschecke und Quarkkäulchen.
Einen Halt machte die Ostfriesen-Gruppe in Pfunds Molkerei, die als schönste Milchschenke der Welt im Guiness-Buch der Rekorde auftaucht und außer einem tollen Ambiente allerlei Kulinarisches rund um Milch und Senf zu bieten hat (das Foto entstand übrigens mit ausdrücklicher Genehmigung einer Mitrbeiterin; eigentlich ist das „Knipsen“ dort untersagt).
Mit einem Augenzwinkern führte die Hostess die Gruppe in die Besonderheiten des sächsischen Dialekts ein und erklärte, während Busfahrer Thomas in immer kleiner werdenden Kreisen die Stadt erschloss und noch die engste Kurve vorbei an superbreiten Müllfahrzeugen schaffte, die zahlreichen Sehenswürdigkeiten, darunter den Stadtteil Blasewitz mit herrlichen Villen, die Elbschlösser, die Loschwitzbrücke und die Waldschlösschenbrücke.
Zwinger, Residenzschloss und Semperoper erschloss sich die Gruppe zu Fuß, ehe es am Nachmittag in die Frauenkirche ging, ursprünglich die Kirche „Unserer lieben Frau“ – sicher der Höhepunkt für die meisten Gruppenteilnehmer, vor allem für die, die in die Kuppel hinaufstiegen und mit einem einzigartigen Panoramablick über Dresden belohnt wurden.
Vor der Semperoper.
Die Geschichte der Frauenkirche berührte viele tief. Es waren keine Bombentreffer, die das Gotteshaus beim fürchterlichen Luftangriff der Alliierten auf die Stadt am 12. und 13. Februar 1945 zum Einsturz brachten. Die Kirche hatte Stand gehalten. Auf dem gegenüberliegenden Elbufer staunten am 14. Februar weinend Menschen, als sie sahen, wie sich aus dem brennenden Dresden die Kuppel der Frauenkirche noch immer erhob. Doch der ringsum wütende Feuersturm ließ die Fensterscheiben bersten und entwickelte eine solche Hitze im Inneren der Kirche, dass es überall zu Entzündungen kam. Am 15. Februar stürzte die Kuppel ins Kircheninnere und riss große Teile des Mauerwerks mit sich.
Die Frauenkirche heute.
Altarraum in der „neuen“ Frauenkirche. Zum Teil kam er unter dem Trümmerberg fast unversehrt zum Vorschein.
Einmalig schöner Blick von der Kuppel der Frauenkirche über die Stadt.
Blick von der Kuppel tief nach unten in den Gottesdienstraum.
Die Ruine stand über 45 Jahre mit all ihrem Schutt als Mahnmahl im Zentrum der Stadt. Mit dem „Ruf aus Dresden“ ging 1990 der Appell einer Bürgerinitiative in die Welt, die Stadt beim Wiederaufbau der Frauenkirche zu unterstützen. 1993 begann die Enttrümmerung. Zur Überraschung der Fachleute kamen teils unversehrte Reste des Altars zum Vorschein. Unter Steinen begraben wurde auch das Turmkreuz gefunden. 1994 begann der Aufbau. 2005 – vor zehn Jahren – feierten Menschen Kirchweihe.
Täglich wird die Kirche, Attraktion wohl jedes Touristen, ausdrücklich als Gotteshaus genutzt – für Andachten oder Gottesdienste.
Das offizielle Programm der Neuauwiewitter war bereits beendet, als es einige noch einmal in die Frauenkirche zog. Zum Todestag von Johann Sebastian Bach, der am 28. Juli vor 265 Jahren starb, war die Orgelmusik ganz Bachs Werk gewidmet. Schöne meditative Texte begleiteten das Orgelspiel. Hier konnte jeder Gast die Geschichte dieser Kirche noch einmal in Ruhe auf sich wirken lassen.
Am Abend berichtete eine Dame aus der Reisegruppe von eigenen Kriegserlebnissen. Sie war während des Bombensturms auf Dresden ganz in der Nähe gewesen und hatte die Stadt im Feuersturm ansehen müssen.
Dritter Tag | Mittwoch, 29. Juli 2015 | Natur so weit das Auge reichte
Am dritten Reisetag verwöhnte die Sächsische Schweiz die Reisegruppe mit herrlichen Naturbildern. Der Bus brachte die Ostfriesen zur Festung Königstein, eine der größten europäischen Bergfestungen mitten auf einem Tafelberg. Die Anlage bietet einen grandiosen Blick in alle Himmelrichtungen, vor Jahrhunderten ideal, um Feinde zu erspähen; heute gibt es 240 Meter oberhalb der Elbe vom Wallgang mit einem Blick bis nach Dresden und sogar bis Tschechien vor allem Natur und weitere Berge zu sehen.
Die Sicht war erstklassig, so dass in der Weite der Dresdner Fernsehturm auftauchte. Die Gästeführerin versprach: „Man sieht sogar die Frauenkirche.“ Die sah allerdings keiner. Auf eine kleine Nachfrage, wo sie wohl sei, guckte die Dame suchend in die Weite und bekannte: „Na, jedenfalls sieht man schön weit.“
Das stimmte unbedingt. Und auch auf dem Plateau selbst gab es viel zu entdecken, unter anderem das älteste Gebäude dort oben aus dem 12. oder 13. Jahrundert: das Garnisionskirchlein. Bei leiser Musik ließ sich in den Bänken gut verweilen.
Königstein im Modell – eine beeindruckende Anlage.
Irgendwo „dahinten“ liegt Dresden. Die grüne Erhebung links ist der Lilienberg, der gern als Übungsziel für die hauseigenen Geschütze genutzt wurde.
Und hier sind die Geschütze. Kugeln liegen vorsichtshalber nicht dabei.
Spannend auch das Brunnenhaus, in dem gerade eine Vorführung lief: Zur Freude vieler Gäste, die inzwischen auch mit anderen Bussen den Königstein erreicht hatten, teuften zwei Herren einen riesigen Bottich in den 153 Meter tief einst von Hand in den Felsen gegrabenen Brunnenschacht und zogen Wasser herauf. Acht Minuten dauerte es, bis das Nass, inzwischen elektrisch befördert, oben war und mit der Versicherung, es verschönere die Haut von Damen, großzügig in die Menge verspritzt wurde (die Autorin konnte an ihrer Haut die versprochene Straffung leider nicht bewundern).
Nicht mehr vorgefunden hat die Gruppe das Königsteiner Weinfass, das Böttcher und Küfer einst auf Wunsch August des Starken im Keller der Burg gebaut hatten – mit einem Fassungsvermögen von 249.838 Litern. Von hier floss Landwein aus der Meißner Pflege in Fülle. Allerdings musste das Fass schon bald wegen Baufälligkeit entsorgt werden.
Auch Burgmauern wollen gepflegt werden. Die beiden Herren schaben Flechten und Moose aus dem Stein.
Von Königstein ging es mit dem Reisebus nach Bad Schandau und mit der schrill quietschenden Knirnitzschtalbahn, eine Straßenbahn alten Schlags (sehr wörtlich zu nehmen) zurück in die 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, pardon: zum Lichtenhainer Wasserfall, der ziemlich frei von Wasser war und damit auch frei vom Fall. Die Natur leidet derzeit unter Wasserknappheit.
Das knirschende Knirnitzschtalbähnchen am Lichtenhainer Wasserfall, der nicht fiel.
Komfortabel brauchte der Reisebus die Gesellschaft hinauf zur Bastei, alten Gebäulichkeiten auf einer weiteren Felsformation an der Elbe zwischen Rathen und Wehlen.
Hier bestimmen zerklüftete Sandsteinfelsen das Bild. Von der Bastei fällt der Blick 194 Meter steil nach unten. Einen guten Teil dieses Wegs können Besucher auf einer stark gewundenen, engen und sehr stufenlastigen Brücke zurücklegen. Belohnt werden sie mit herrlichen Aussichten in fast alle Himmelsrichtungen. Die zackigen Felsen tragen malerische Namen wie Lokomotive und Mönch, weshalb sich auf letztgenanntem Gipfel eine Mönchsfigur befindet. Diese Information half einem Tourist weiter, der gehört hatte, dort stehe der Schutzpatron der Kletterer, der Heilige Ischias.
Wolfgang Holzbach hält hoch über der Elbe Eindrücke fest.
Auf dem Basteigelände liegen noch ein paar Kugeln herum – nicht für Geschütze, sondern für Steinschleudern, die allerdings vorsichtshalber woanders stehen.
Markus Husen lichtet Hildegard Lüken ab, die weiter oben durchs Gelände turnt.
Die Reisegruppe aus Ostfriesland war sehr begehrt und beim Mittagsmahl in herrlich klarer Luft umschwärmt, zumindest von einer Heerschar Wespen. Gestochen wurde „glücklicherweise“ nur die Dame hinter der Theke, die Pflaumenkuchen feilbot.
Die Reisegruppe warf noch einmal einen Blick hinaus in die Weite, die einst schon Caspar David Friedrich angezogen hatte. Hier entstand sein bekanntes Bild „Felsenpartie im Elbsandsteingebirge“.
Der Mönch mit Mönchsfigur auf dem Gipfel.
Am Abend war Geselligkeit in Dresden angesagt. In einer Kneipe, in der einige aus der Gruppe schon gut bedient worden waren, behauptete ein Kellner trotz eines freien Ecktisches, es sei für die Unseren nicht ausreichend Platz. Er komplimentierte die Gäste nicht heraus: Er schickte sie auf die Straße.
Gleich gegenüber freute sich die Konkurrenz über Besuch. Der junge Kellner machte, angesteckt vom ostfriesischen Frohsinn, der die Gruppe keineswegs verlassen hatte, aus jeder Bestellung eine kabarettistische Einlage, lachte mit der Gruppe, beschimpfte sie, wies sie zurecht und duldete mit strenger Miene kein männliches Vorpreschen. Immer durften die Damen als erste bestellen und wurden anhand ihrer Kleidung identifiziert: „Das kleine Weizen für die Damen mit dem karierten Hemd…“
Bruder Johannes hatte er gleich als Chef der Gruppe ausgemacht. Frech duzte er ihn und umgarnte ihn. Es wurde ein urkomischer Abend voll guter Laune und Leichtigkeit.
Vierter Tag | Donnerstag, 30. Juli 2015 | Schwer erträgliche Bilder
Heftiger hätte der Kontrast kaum sein können: Die Reisegruppe fuhr nach beeindruckenden Naturtagen in die Gedenkstätte Bautzen nahe der tschechischen Grenze. Der Name, den der Volksmund dem berüchtigten Gefängnis der SED-Zeit gab, spricht Bände: das gelbe Elend.
Das Gefängnis zeigt eine gelbe Klinkerfassade. In diesen Mauern war die Not unerträglich. Das spürte die Gruppe schon beim Eintritt: kein großes Entree wie in anderen Gedenkstätten, keine riesigen Hinweisschilder, keine Fahnen, sondern nur eine Rampe, als beträte man durch einen Hintergang als Lieferant ein Fabrikgebäude. Dann überall Zellen, Türspione, Gittertreppen, Gitterbrüstungen, Gittergeländer, die Räume beinah unangetastet und in ihrem alten Mief, modern nur die Informationstechnik, die Besucher der Gedenkstätte über Kopfhörer wissen lässt, was in diesen Mauern passiert ist.
Blick ins Innere des Gefängnisses.
Man hört Stimmen gequälter Menschen, die gerade verhört werden, erkennt unmittelbar, wie ihnen das Wort im Mund herumgedreht wird, um ihre Schuld festzuklopfen. Dokumente zeigen, in welcher Willkür und Selbstüberhebung Menschen mit Macht andere erniedrigt und zu Tode gebracht haben.
Das Haus hat eine Geschichte, die älter ist als die DDR. Ursprünglich war die Landesstrafanstalt im toleranten Sachsen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Vorzeigehaus und Musterbeispiel humanistischen Strafvollzugs eingerichtet worden. In der NS-Zeit wurde es schnell zum Grauen der Häftlinge, und es blieb ein Grauen in der Zeit unter der sowjetischen Besatzungsmacht.
Unter dem SED-Regime wurde es zum Gefängnis für „Staatsfeinde“, die schlimmsten Haftbedingungen ausgesetzt waren. Davon erzählen heute in der Gedenkstätte zahlreiche Tafeln und Dokumente, darunter Filme mit Überlebenden, die bis heute das Trauma der Häftlinge von damals greifbar machen.
Einige Bilder, Dokumente und Filmpassagen sind nahezu unerträglich, auch die, in denen Kinder eine Rolle spielen – Kinder von Vätern, die hier als Personal arbeiteten und mit gefangenen Frauen Kinder zeugten, als Vergewaltiger oder weil sie sich verliebt hatten.
Wilhem Sprick zeichnete das Elend.
Das Schicksal eines Kindes wird beschrieben: Sein Vater hatte sich in die Mutter verliebt. Der Vater wurde deportiert, die Mutter noch schwerer bestraft, das Kind, das zunächst bei der Mutter geblieben war, weggegeben.
„Distrophie“ hat Wilhelm Sprick auf das Bild geschrieben.
Bewegend der Raum, in dem Zeichnungen des Künstlers und ehemaligen Insassen Wilhelm Sprick zu sehen sind, der das Elend der geschundenen Menschen abgebildet hat. In ihrer Eindringlichkeit erinnern die Zeichnungen an Arbeiten von Käthe Kollwitz.
Nach der Besichtigung war Zeit, bei einem ungeführten Spaziergang durch Bauzten die Erlebnisse zu verdauen. So schön die Innenstadt von Bautzen sich auch präsentierte: Dasgelbe Elend ging vielen nach.
Fünfter Tag | Freitag, 31. Juli 2015 | Das Weiße Gold von Meißen
Nach einer geruhsamen Fahrt durch schönste Natur mit goldgelben Feldern auf sanften Hügeln setzte Busfahrer Thomas die Reisegruppe am Freiberger Dom ab, der noch immer Zeugnis der reichsten sächsischen Stadt im Mittelalter ist. Teile, darunter das spätromantische Goldene Tor, sind von einer Marienkirche erhalten, die hier schon um 1200 gestanden hat und größtenteils 1484 einem Stadtbrand zum Opfer fiel. Ein neues Gotteshaus wurde gotisch gebaut und 1501 vollendet.
Das Goldene Tor.
Die Gruppe lief lange einfach nur schauend und staunend durch den kühlen Raum. Eine Führung war nicht möglich – wegen Fensterbauarbeiten: Ein einzelner Mann kratzte die Fugen einer echten Butzenscheibe aus, um sie durch eine andere zu ersetzen.
Ihn drückt die Last des aufwendig gestalteten Aufgangs zur Bergmannskanzel, aber er teilt sie sich mit vielen anderen Figuren und trägt die Last, die zur Verkündigung führt, gern.
Eine der beiden Silbermann-Orgeln im Dom.
Anschließend spazierte die Gruppe durch Freiberg, tafelte in einem der schnuckeligen Straßencafés oder Restaurants auf Grund und Boden, auf dem noch viele Namen und Einrichtungen an die rund 800 Jahre währende Tradition der Erzgebirgsstadt erinnert, die u.a. mit ihrem Silberreichtum vom Bergbau und der Hüttenindustrie lebte.
Pferdegespanne transportieren hier überall Touristen. Wer wohl in dieser Kutsche sitzt?
Ah, Anne, flankiert von zwei weniger bekannten Herren.
Hier wurde durch die SAG, die Sowjetische Aktiengesellschaft, zudem Uran abgebaut. Es diente der sowjetischen Atomindustrie als Rohstoff zum Bau von Atombomben. Viele Menschen, die völlig ungeschützt der Strahlung ausgesetzt waren, starben früh.
Ein Höhepunkt für viele Reisende war der Besuch von Meißen mit der Besichtigung der Porzellan-Manufaktur Meißen. In einer erstklassigen Führung vorbei an publikumswirksam angelegten Arbeitsplätzen dreier Mitarbeiter erläuterte moderne Technik die verschiedenen Arbeitsschritte. Die Kunsthandwerker, die die Information an Modellstücken praktisch umsetzten, beantworteten gern Fragen. Es war ein Genuss, den Entstehungsprozess von Geschirr und Figuren zu begleiten und zu erleben, mit welchem Aufwand das „Weiße Gold“ gewonnen und veredelt wird.
Er stellt Rohkörper her, die später in einem aufwendigen Verfahren gebrannt werden und dabei ordentlich an Größe verlieren.
Sie bearbeitet Figuren aus der freien Hand.
Und hier staunt die Gruppe über die Fingerfertigkeit einer Dame beim Bemalen von Porzellan.
Gern beantwortete die Kunsthandwerkerin Fragen.
Das Museum und ein Verkaufsshop waren nach der Führung kräftige Magneten. Manches Tellerchen, Tässchen und Köpfchen wanderte in die eigene Einkaufstasche. Und staunend standen einige aus der Ostfriesengruppe dabei, als Mitglieder einer anderen Gruppe sich nicht mit Tässchen und Tellerchen begnügten, sondern sich große Taschen vollluden. Es war natürlich reiner Zufall, dass eine der Reisefreundinnen aus Neuauwiewitt sah, wie die Registrierkasse nach langer Addition einen Betrag von über 35.000 Euro errechnet hatte.
Hier konnte einfach nur geschaut oder auch gekauft werden.
Blick ins aufwendig gestaltete Porzellan-Museum…
… mit wunderbaren Exponaten.
Flugs brachte der Bus die Reisegesellschaft aus Ostfriesland zurück nach Dresden, wo der Abend noch viele gesellige Stunden bot. Zwischendurch gab nach einer Reklamation (eine Bierglas war nicht eiskalt, sondern spülmaschinenheiß serviert worden) die Kasse der Hotelbar ihren Geist auf und weigerte sich nachhaltig, nicht etwa 35.000 Euro, sondern 3,50 Euro rückzubuchen.
Sechster Tag | Samstag, 1. August 2015 | Barockgärten von großer Pracht
Auf allen Wegen oder doch auf fast allen Wegen begegnet der Gruppe in diesen Tagen das Wirken eines umtriebigen Sachsen: August der Starke hat in Dresden im 17. und 18. Jahrhundert seine Prunkfreude entfaltet, Güter und Schlösser gebaut, gekauft oder an sich genommen. Spendabel schenkte er einige an Frauen weiter, die er liebte. Er machte Dresden zu einer der prächtigsten Metropolen Europas. So hat der Kurfürst von Sachsen, August I. (und nach seiner Konvertierung zum Katholizismus – als König von Polen – August II.), ein Spross der albertinischen Linie des Fürstengeschlechts der Wettiner, fast immer seine Finger im Spiel, wenn heute irgendwo in der sächsischen Schweiz ein altes Gemäuer und großartige Gärten besichtigt werden können.
Ganze Bücher informieren über solche Anwesen. An diesem Samstag besucht die Gruppe zwei davon – darunter Schloss und Park Pillnitz am Elbufer vor den Toren von Dresden. Die Gästeführerin für diesen Tag ist ein Glücksfall mit höchstem Unterhaltungswert: Heiderose, von Hause aus Architektin und promoviert, seit Jahrzehnten verliebt in Sachsens Kultur und bestehend aus schierer Energie, unterstreicht jedes Wort ihrer excellent formulierten Sätze derart theatralisch unter Einsatz ihres ganzen Körpers, dass es für einen Moment wie gemeißelt in der Luft hängt, ehe es vermutlich für immer tiefe Eindrücke in den Hirnwindungen ihrer Gäste hinterlässt. Viele stehen mit offenem Mund da. So was wie Heiderose haben sie noch nie erlebt.
Die Gruppe am Schloss Pillnitz – die leicht mollige Dame im weißen Shirt ist Heiderose.
Die etwas mollige Heiderose nimmt alles persönlich. Als sie die Mode am Hof beschreibt (die sieben Röcke, die Damen laut Protokoll übereinander zu tragen hatten, dann das Mieder, auf Wespentaille gezurrt), fragt sie empört in die Runde, ob jemand eine Ahnung habe, wie lange man zerren müsse, um ihre, Heideroses, Taille auf Hofmaß zu verschnüren. Inzwischen wissen alle, dass sie rücksichtslos lachen dürfen. Die Gruppe geiert im Konzert. Heiderose drückt an sich herum, aber eine Wespentaille wird das nie.
Die solcherart durch’s Geiern mit Frischluft durchfluteten Lungen bereichern die Gehirne mit Sauerstoff, und voll Freude genießen alle quasi mit Heideroses Antennen die Schönheiten von Pillnitz, die August der Starke einst samt der aufstehenden Palais seiner „Zweitfrau“, der Gräfin von Cosel, geschenkt hatte. Die ganze Anlage ist grandios. Der barocke Lustgarten und der dahinter liegende Schlosspark mit uralten Bäumen folgen einer vollendeten Gestaltung.
Dieser Baum mit gefiederten Fingern ist keine Mimose, die bei jeder Berührung zusammenzuckt (trotzdem müssen alle mal anfassen), sondern ein Urweltmammutbaum.
Herrliche Blütenpracht allüberall.
Das Anwesen liegt malerisch direkt an der Elbe.
Star ist u.a. eine riesige Kamelie, die winters mit einem fahrbaren Glashaus geschützt wird und in der Blütezeit Tausende von Gästen anlockt. Die geben das Zählen der Blüten bald auf: Über 35.000 sind es in einer Saison an dieser einen Pflanze.
Weiter geht es im Bus nach Pirna, einer kleinen Kreisstadt an der Elbtalweitung zwischen Erzgebirge und Westsudeten. Im Osten durchquert die Elbe das Elbsandsteingebirge. Das Tal reicht bis ins Stadtgebiet und gab Pirna den Titel „Tor zur sächsischen Schweiz“.
Blick aus dem fahrenden Reisebus auf die Stadt Pirna; der schwarze Turm in der Mitte gehört zur Marienkirche.
Marktplatz mit Rathaus. Die Gruppe erlebt mindestens zwei Hochzeiten.
Heiderose bebt sich durch die Führung.
Dreamteam der besonderen Art: Anne (90) und Johannes.
Maria und Katharina auf einem innerstädischen Reitplatz.
Heiderose berichtet aus der Geschichte der Stadt. Wohl fast alle haben im Aufgang zur spätgotischen, dreischiffigen Hallenkirche St. Marien, heute evangelisch-lutherisch, auf dem Pflaster Tausende von kleinen bunten Kreuzen gesehen, die einen ganz eigenartigen „Kreuzgang“ bilden. Es wird still in der Gruppe, als unsere Gästeführerin erklärt, dass jedes Kreuz für einen Patienten steht, der während der Nazi-Zeit oberhalb der Stadt in der Heilanstalt Sonnenstein der „nationalsozialistischen Rassenhygiene“ und Euthanasie zum Opfer fiel. Nahezu 14.000 Patienten und 1.000 KZ-Häftlinge wurden dort allein von Juni 1940 bis August 1941 unter Leitung des Arztes Horst Schumann vergast. Seit 1990 gibt es die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein.
Die Gruppe verlässt Pirna. Thomas bringt seinen Bus samt kostbarer Fracht zum Barockgarten Großsedlitz, eine der vollkommensten Gartenschöpfungen Sachsens auf einer Anhöhe südöstlich von Dresden. Hier ist französische Gartenbaukunst verwirklicht. Heiderose beschenkt die Gruppe noch einmal mit ihrer Energie und hat ihre Ohren einfach überall; als jemand ein Gewächs als Zitronenbaum bezeichnet, baut sie in ihre Rede zu einem völlig anderen Thema den Satz ein, „und das da ist kein Zitronenbaum, sondern eine Pomeranze“. Von diesen Bitterorangen hatte Großsedlitz in seiner Orangerie einst über 1.000. Heute sind es immerhin wieder über 100.
Die Architektur nimmt die Hanglage des Gartens mit Terrassierung und Kaskaden auf. Klug angelegte Sichtachsen erlauben Blicke bis in größte Weiten – ein herrliches Bild.
Der Barockgarten Großsedlitz.
Heiderose hört alles, sogar wenn Bäume verwechselt werden.
Auf einer der Terrassenanlagen im Park.
Die Gruppe verlässt Großsedlitz und steuert auf einen anderen Tageshöhepunkt zu. Nach dem Essen feiert sie im Speisesaal des Hotels eine Heilige Messe. Pfarrer Johannes Ehrenbrink predigt über die Lesung zur Wüstenspeisung der Israeliten. Sie sind auf der Flucht vor den Ägyptern. Sie haben Hunger, wollen zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens, die es gab, aber die sie kaum selbst genießen durften. Doch die alte Zeit wird verklärt.
Die Israeliten wollen Mose nicht mehr folgen. Da lässt Gott Manna auf den Boden niederkommen: „Etwas Feines, Knuspriges, fein wie Reif“. Die Israeliten fragen: „Was ist das?“
Johannes kurz vor der Wandlung.
Johannes übersetzt das Wort Manna genau mit dieser Frage. Es bedeutet: „Was ist das?“ Die Frage wurde zum Namen: Manna – und damit zur Antwort: Manna ist „unerwartet satt werden“.
Johannes berichtet, dass die Naturwissenschaft in Manna das Ausscheidungssekret von Schildläusen vermutet, die im Sinai auf Tamarisken leben. Also doch kein Wunder?
Der Pfarrer sieht das Wunder in dem Geschenk, dass das Nötige plötzlich da ist. Manchmal werde das Wunder nicht einmal bemerkt. Trotzdem „sagen wir dann vielleicht: ‚Gott sei Dank‘.“ Gott stehe drin in unserem Leben. „Er steht in den Erlebnissen unseres Alltags.“
Dankbar für die großen und kleinen Wunder auch der vergangenen, schönen Tage feiert die Gruppe Eucharistie.
Die singende Gemeinde, bei einigen Liedern von Markus begleitet.
Friedensgruß in der Gruppe hier…
… und dort.
Siebter Tag | Sonntag, 2. August 2015 | Katarina schenkt Wein ein
Die Reisegruppe besucht Schloss Moritzburg, das in der Nähe von Dresden malerisch inmitten eines großen Schlossteichs auf einer künstlichen Insel liegt. Namensgeber ist Kurfürst Moritz, der die ursprüngliche Dianenburg im 16. Jahrhundert zu einem prachtvollen Jagdanwesen umgestalten ließ und haufenweise Jagdtrophäen sammelte.
Schloss Moritzburg um 1800…
... und heute mit Katharina und Maria (keine Frage, wer hier die wahre Schönheit ist).
Seine heutige Form als barockes Jagd- und Lustschloss erhielt das Anwesen unter August dem Starken, der auch neue Teiche und Jagdgehege anlegen ließ. Näheres berichtet der Gruppe ein Schlossführer, ein drahtig-klein-kompakter Herr, der die Ostfriesen für Protestanten hält und – selbst Katholik – fast in Ohnmacht fällt, als er erfährt, dass sie ebenfalls dieser Konfession anhängen. Schon im nächsten Satz spricht er sie hingerissen und grinsend als „Brüder und Schwestern im Herrn“ an. Kein Zweifel: Diesen Tag mit katholischen Ostfriesen wird er nie vergessen. Sein Lächeln wächst im Gesicht fest.
Der katholische Gästeführer rechts mit kurzer Hose und kurzen Beinen, den Blick auf den Boden gerichtet.
Er führt die Gruppe durch die musealen Räume, zeigt wandfüllende vergoldete Ledertapeten, die seit über 300 Jahren unverändert ganze Räume auskleiden, erklärt im Billardsaal mit einem riesigen Spieltisch, der eher an ein Fußballfeld erinnert, lederne Monumentalgemälde von Louis de Silvestre und zeichnet August den Starken einmal nicht als den Frauenheld, der eine Armada von Kindern zeugt, oder als prunkverliebten Verschwender, sondern als einen Mann, der weitsichtig Kunstschätze seiner Ahnen und seiner Epoche sammelt und so für die heutige Zeit erhält.
Der Gästeführer, der stets halb schräg auf den Boden und in kein Gesicht schaut, lässt die Gruppe an den Tischfreuden des 17. und 18. Jahrhunderts teilhaben und zeigt auf einer wahrhaft königlichen Tafel 66 vollständige Gedecke Meißner Porzellan (vermutlich bekommt man heute für den Gegenwert ein ganzes Schloss), dazu Gemälde von Wettinern, darunter immer wieder August, August, August, dann seine arme Frau Gattin, selbst auf dem Porträt mit vergrämten Gesicht (sie durfte ihm lediglich den Rechtsnachfolger schenken und wurde danach nicht mehr angefasst), dann seine Geliebten in Öl und Prunk, ein Sohn – und immer wieder Jagdtrophäen von Rothirschen, Elchen und Rentieren, teils 400 Jahre alt, Geweihe zuhauf, die auf Holzköpfen thronen, einige mit über 60 Enden.
Unter ihnen ist das fast zwei Meter breite und mit 20 Kilo schwerste Rothirschgeweih der Welt, zudem das Geweih eines Riesenhirsches, dessen Art heute ausgestorben ist (vielleicht hat der Jäger des erlegten Geweih-Eigentümers das letzte Tier geschossen).
Die katholische Schlosskapelle hat leider ein Schloss, und das ist dicht. Nur der Pfarrer darf es öffnen. Johannes Ehrenbrink zählt nicht, auch nicht die Beteuerung, dass er ein echter Pfarrer ist, obwohl er – anders als zwei vorbeiflanierende Geistliche mit römischen Kragen – Gottseidank nur ein kariertes Hemd und eine Jeans trägt. Nein, es muss der Pfarrer in Dresden sein. Der hat den Schlüssel. Beide – Dresden und der Pfarrer – sind weit weg.
So begnügt sich die Gruppe mit der Versicherung, dass die Kapelle, Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden, ein wahres Juwel sei.
Der Gästeführer geleitet die Gruppe zu einem Prachtbett, das August der Starke 1723 erwarb und nie benutzte.
In das Gewebe des gewaltigen Baldachinhimmels und der Bettvorhänge sind ungefähr eine Million Federn von Pfau, Perlhuhn, Ente und Fasan in schönen Mustern als Schussfaden eingearbeitet: ein Wahnsinnsgewerk.
Baldachin und Wandbehänge aus einer Million Federn.
Mit den Jahrhunderten wurden die Federn immer schmutziger, weil man solche Teile nicht einfach waschen kann. Die Reinigung ab 1984 – jedes der Million Federchen wurde einzeln gesäubert – dauerte 19 Jahre. 2003 wurde das Bett wieder gezeigt. August der Starke hätte sich darin sicher endlich wohlgefühlt und zugleich verstanden, warum diese Art von „Federbetten“ inzwischen aus der Mode gekommen ist.
Die Gruppe verlässt Schloss Moritzburg und startet durch Richtung Staatsweingut Schloss Wackerbarth, wo eine Weinprobe wartet. Inzwischen brennt die Sonne am Himmel, die ersten Weinberge werden sichtbar, alles ganz und gar malerisch, aber ziemlich hoch und steil, und erste Bedenken werden laut, da werde man die Gruppe doch wohl bei dem Wetter nicht hochtreiben.
Staatsweingut Schloss Wackerbarth mit Gastronomie.
Alle dürfen es ganz gemütlich angehen lassen, erst mal an einem der lauschigen Plätze unter Schatten spendenden Platanen ein dickes Eis verspeisen und das Vorzeige-Staatsgut von unten in Augenschein nehmen. Zwei Önologie-studierte Gästeführerinnen holen die Gruppe ab. Katarina übernimmt einen Teil und führt ihn zu traubenbehangenen Weinstöcken, die ohne jede Steigung zu erreichen sind. Quasi im Vorbeigehen erzählt sie von den Organen des Rebstocks, von Rebsorten und Rebenzüchtung, Boden und Pflege, Schnitt und Erziehung, geleitet uns ins Innere des Staatsguts und erläutert auch anhand von Filmen im fässergefüllten Keller, wie aus Trauben Wein entsteht.
Katarina im grünen Dress erklärt die Weingewinnung.
Bald darauf dürfen alle die neu gewonnenen Kenntnisse an drei Proben prüfen, wobei Katarina im kessen Winzer-Dress die Probanden nicht lange raten lässt, sondern gekonnt Auskunft erteilt. Ein bisschen zurückhaltender als in anderen Gruppen ist sie schon, denn ihre Gäste kommen erstens aus Ostfriesland (sonst erzählt sie immer Ostfriesenwitze), und zweitens sind sie katholisch (zudem erzählt sie sonst immer Kirchenwitze). Dabei hätte die Gruppe gern Witze aus beiden Sparten gehört…
Katarina schenkt ein.
Katharina singt noch mit melodischer Stimme ein Trinkspruch-Liedchen, ehe der Wein-Shop lockt und die Fahrt zurück zum Hotel geht.
Am Abend sitzen viele aus der Gruppe noch einmal auf der Außenterrasse der Wirtschaft mit dem frechen Kellner, dessen Sprüche schon beschrieben worden sind. Er und die Neuauwiewitter laufen zur Hochform auf. Lustig ist es, gesellig – der letzte Abend dieser Reise geht zu Ende.
Achter Tag | Montag, 3. August 2015 | Der Norden hat uns wieder
Die Koffer sind gepackt. Noch ein letztes Frühstück im Hotel Holiday Inn Express, das nur fünf Minuten Fußweg von der Frauenkirche und anderen Sehenswürdigkeiten entfernt liegt, noch einmal an der Rezeption ein Dankeschön für freundliche und gute Bedienung gesagt, die Türöffner abgegeben und hinein in den Reisebus, mit dem Fahrer Thomas die Gruppe nach Leipzig kutschiert.
Die Musik- und Literaturstadt liegt fast am Heimweg und empfängt die Gruppe auf den ersten Blick nicht mit Attraktionen wie Dresden, dafür mit dem Wissen um ihre jüngere Geschichte, deren Zeugen wir sehen: darunter die Nikolaikirche. Sie stand immer wieder im Zentrum der Montagsdemonstrationen mit den weltweit gehörten Rufen: „Wir sind das Volk“. Tausende und schließlich Zehntausende Bürgerinnen und Bürger ließen sich nicht von dem herangefahrenen Kriegsgerät und demonstrativ aufziehender Staatsgewalt des SED-Regimes beeindrucken, sondern leiteten durch beharrliche und friedliche Märsche 1989 die Wende ein.
Die Stadtführerin, die sich in den Reisebus gesellt, spricht von der „Leipziger Freiheit“.
Nach und nach entblättert die Dame der Gruppe die nur auf den ersten Blick eher unscheinbare Schönheit der Stadt an Weißer Elster, Pleiße und Parthe, die sich vielfach verzweigen und den Leipziger Gewässerknoten bilden. Überall blinken Flüsschen und Kanäle durch. Ehedem verrufene Stadtviertel mit alten Fabriken wurden zu Vorzeigeobjekten: Wie in Venedig liegen die Häuser mit herrlichen Terrassenbalkonen direkt am Wasser und rechtfertigen mit Lage und Komfort höchste Quadratmeterpreise. Ein paar original venezianische Gondeln dümpeln an Stegen.
Im Gewässernetz lässt sich vorzüglich paddeln, zumal Anfang der 1990er-Jahre der Braunkohleabbau gestoppt wurde, der die Stadt und ihr ökologisches Gleichgewicht arg verwüstet hatte. Die Tagebaurestlöcher wurden renaturiert und teils geflutet. Mehrere Seen sind das schöne Resultat.
Beeindruckend auch Tausende von Gründerzeithäusern, die hier im Krieg stehen geblieben, in der DDR-Zeit verfallen und nach der Wende aufs Beste renoviert worden sind.
Die ausgedehnten Auwälder im Bereich der einst slawischen Siedlung mit den vielen Linden – von denen sich mit „urbs Lipsi“: Stadt der Linden – der Name ableitet, berührt der Bus nur am Rande. Die Stadtführerin erwähnt sie mit einem kleinen frechen Seitenhieb auf Dresden und August den Starken, der einst in Leipzig ein Schloss besitzen wollte, bei den Leipzigern aber auf Granit gestoßen sei. August habe das kalt gelassen, bis die Leipziger auf den Trick verfallen seien, im sumpfigen Umland säckeweise Mücken zu sammeln und die baugierigen „Gäste“ aus Dresden (die die List nicht bemerkten) so lange mit den Schwärmen einzunebeln, bis die Herren völlig zerstochen das Weite suchten.
Heute, auch das bekannte die Gästeführerin, bedauern die Leipziger, dass sie August vergrault haben. So ein kleines Barockschlösschen mit irgendeiner wertvollen Sammlung hätten sie wohl gern als Vorzeigeobjekt gehabt…
Früh wurde Leipzig weltberühmt als Stadt u.a. des Handels und der Literatur. Bereits aus dem 12. Jahrhundert gibt es Belege für eine Leipziger Handelsmesse. In der Stadt schnitten sich die Handelswege von Paris nach Nowgorod und von Bergen nach Rom.
1865 hielten die Leipziger die erste Mustermesse der Welt ab. Vertreter brachten nur noch Muster mit, nicht mehr vollständige Kollektionen. Die Messe wurde zum Vorbild für die ganze Welt. Das weltbekannte doppelte „M“ im Logo der Messe steht für „Muster-Messe“.
In Leipzig entstanden 1650 die ersten Tageszeitungen der Welt, im Lauf der Jahrhunderte siedelten sich an dieser Schnittstelle des deutschen Buchgewerbes rund 1500 Verlage an, darunter Baedeker, Brockhaus, Insel, Kiepenheuer und Reclam. 1839 wurde die erste Fernbahnstrecke fertig, 1843 durch Felix Mendelssohn-Bartholdy die erste deutsche Musikhochschule, 1900 konstituierte sich der Deutsche Fußballbund, und drei Jahre später wurde der VfL Leipzig erster deutscher Fußballmeister (wovon er heute weit entfernt ist). 1915 – vor 100 Jahren – wurde der damals größte Kopfbahnhof Europas fertig.
Und auch in Leipzig versorgt die Gästeführerin die Gruppe aus Neuauwiewitt mit Informationen aus der Nazizeit: Ab 1933 ließ sich das Leipziger Reichsgericht immer mehr von Hitlers Regime missbrauchen. Im Dezember 1933 klagte es Marinus van der Lubbe an, den Reichstagsbrand gelegt zu haben. Lubbe bezahlte das Komplott im Januar 1934 mit seinem Leben.
Neues Rathaus in Leipzig gegenüber der neuen katholischen Kirche.
So viel könnte die Gästeführerin noch über Leipzig erzählen. Kein Zweifel: Die Stadt ist eine eigene Reise wert.
Zeit ist allerdings nur für einen einzigen, nicht geplanten Stopp: an der neuen katholischen Pfarrkirche, der Propsteikirche St. Trinitatis, die erst am 9. Mai 2015 geweiht worden ist. Sie wirkt fast befremdlich, eher wie ein Zweckbau, der als langgezogenes Dreieck gegenüber dem neuen Rathaus liegt. Der Gegensatz könnte kaum größer sein: hier die moderne Kirche, dort das Rathaus im Stil des Historismus.
Die katholische Kirche vom Innenhof her gesehen.
Erst beim näheren Hinsehen und Hinhören – Propst Gregor Giele ist herbeigeeilt und gibt der Gruppe spontan eine kleine Führung – enthüllt sich der Reichtum der Kirche. In das Glas der Außenwände geschrieben ist das Alte Testament.
Eine weitere Glasschicht liegt davor mit dem Text des Neuen Testaments.
Je nach Tageszeit und Beleuchtung scheint das eine oder das andere stärker durch. Die Kirche selbst ist zur Verkündigung geworden.
Der Grundriss der Kirche.
Propst Gregor Giele (weißes Hemd, schwarze Hose) gibt eine kleine Führung. In der Mitte der Taufstein mit der für die Kirche typischen Ornamentik.
Der Stopp hat noch einen sehr weltlichen und doch großen Nebennutzen fürs kleine Geschäft: Die funkelnagelneuen Toiletten sind heiß begehrt, die „Teilnehmer“-Schlangen bei den Damen lang und bei den Herren kurz (da schnell abgearbeitet), weshalb schließlich Damen vor der Herrentoilette Wache schieben: Sie sind fremdbesetzt.
Die Reisegruppe macht sich nach einem kurzen Schlenker vorbei am Neuen Gewandhaus und der Universität mit neuer Kirche endgültig auf den Heimweg.
Das neue Gewandhaus am Universitätskomplex.
Die Universität mit neuer Kirche. Sie steht auch in Erinnerung an die völlig intakte Paulinerkirche, die das SED-Regime am 30. Mai 1968 sprengen ließ, weil sie vom Stil her nicht zur sozialistisch geprägten Universität passte. Alles sollte funktional-nüchtern sein. Die neue Kirche (siehe Bild rechts) sieht – in Erinnerung an das Geschehen – teils wie verwundet aus. So liegt die Rosette nicht über dem Scheitelpunkt des großen Fensters, sondern leicht versetzt. Das Dach wirkt mit seiner merkwürdigen Konstruktion aus Glas und Metall, als sei es ein Brandgerippe, und das Gebäude scheint nach links zu kippen. Nach links brach damals bei der Sprengung die Paulinerkirche zusammen.
Im Reisebus geht es ruhig zu. Unterwegs bietet Steffi ein letztes Mal ihren Service.
Elsbeth Antony fasst die Erlebnisse der letzten Tage für alle zusammen und macht anschaulich: Das war in jeder Hinsicht eine gute Zeit. Sie dankt Pfarrer Johannes Ehrenbrink und Thomas und Steffi. Johannes dankt Elsbeth und Josef für beste Vorbereitung, und ein Dank geht an alle, die sonst in irgendeiner Weise geholfen haben.
Auf der Höhe von Hannover dudelt NDR 1 seine bekannte Melodie.
Der Norden hat uns wieder.